Conversation

„Wir fokussieren uns auf grosse gesellschaftliche Herausforderungen.“

In der Schweizer Förderlandschaft sticht der Migros-Pionierfonds mit seinem „venture philanthropischen“ Ansatz heraus. Projektscout und Projektbegleiter Pablo erzählt, warum Projekte mit gesellschaftlicher Relevanz im Zentrum stehen.
Header image: Pablo Villars steht vor einem Baum

HudsonGoodman: Pablo, du bist bei dem Migros-Pionierfonds als Projektscout und Projektbegleiter tätig. Was machst du in diesen beiden Rollen?

Pablo Villars: Der Migros-Pionierfonds macht Anschubfinanzierungen für Impact-Unternehmen in der Startphase. Als Scout ist es meine Aufgabe, vielversprechende Impact-Startups zu identifizieren und als potenzielle Förderprojekte vorzuschlagen. In meiner Rolle als Projektbegleiter begleite ich acht bis zehn Projekte parallel im Schnitt über drei Jahre. Wir setzen den Fokus auf die strategische Projektbegleitung, das heisst, vor allem im Hinblick auf Themen wie Business Development, Organisationaufstellung und Zielgruppen.

Der Migros-Pionierfonds ist Teil des gesellschaftlichen Engagements der Migros-Gruppe. In diesem Rahme positioniert ihr euch als Venture Philanthropist. Wie unterscheidet ihr euch mit diesem Ansatz von anderen Förderfonds?

Als Venture Philanthropist kombinieren wir Elemente von Venture Capital Fonds und Förderstiftungen. Dabei haben wir im Gegensatz zu den meisten VCs einen starken Wirkungsfokus. Unser Return on Investment ist also die gesellschaftliche Wirkung. Die Profitabilität eines Projektes hingegen ist zweitrangig, solange sich das Projekt nachhaltig – auch nach unserer Förderung – behaupten kann. Bei der Auswahl der geförderten Projekte sind wir bezüglich der Rechtsform agnostisch und fördern sowohl GmbHs und AGs wie auch Vereine, Genossenschaften und Stiftungen.

Wie fördert ihr?

In Bezug auf rein finanzielle Mittel fördern wir – anders als klassische VC-Fonds – nicht über Equity oder ähnliche Vehikel, sondern immer über Grants A-fonds-perdu. Das Geld ist aber, auch wenn es für die meisten wahrscheinlich der entscheidendste Faktor ist, nur das eine. Hinzu kommt, dass wir versuchen, unsere Erfahrungen aus über einhundert Projekten dort einzubinden, wo es nützt. Wir schaffen Verknüpfungen zwischen Projekten und begleiten sie strategisch aus einer halb externen Sicht. Durchaus vergleichbar mit einem Investor, aber immer mit der Wirkung als oberste Maxime.

In der Verknüpfung von Projekten liegt grosses Potenzial. Kannst Du beschreiben, wie ihr das unterstützt?

Wir organisieren Events und Besuche der geförderten Projekte untereinander. Sehr effektiv sind auch One-to-One-Intros, bei denen wir Projekte mit ähnlichen Herausforderungen verknüpfen. Tatsächlich entsteht aus ähnlichen unternehmerischen Herausforderungen ein grösserer Mehrwert als durch ähnliche Themenbereiche – da kennen sich die Leute oft auch ohnehin schon.

Events des Migros-Pionierfonds
Foto: Gian Andrea Lüthi

Wie sieht es auf der digitalen Ebene aus?

Da haben wir anfangs mal einen Slack Workspace probiert, der aber nur mässig geklappt hat. Jetzt haben wir eine geschlossene LinkedIn-Gruppe für die Projektpartner:innen und Alumni, in der rund 300 Personen sind. Zudem versuche ich, sporadisch Updates aus der Community über einen internen Newsletter zu verbreiten.

Du hast mehrmals die gesellschaftliche Wirkung erwähnt. Kannst du ein Beispiel-Projekt beschreiben, das dich besonders beeindruckt hat?

Ein Beispiel ist Circunis, ein B2B-Online-Marktplatz für Lebensmittelüberschuss, der kürzlich gestartet ist. Verarbeitungsbetriebe können dort Lebensmittel anbieten, die sie nicht mehr weiterverarbeiten können, und Abnehmer finden, um Food Waste zu vermeiden. Ein mutiges und auch wichtiges Unterfangen in der Schweiz, das auf gutem Weg ist.

Was in einer Gesellschaft Impact oder Relevanz hat, ist ja immer auch dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen. Wie trackt ihr diesen Wandel, um die richtigen Projekte zu identifizieren?

Wir scouten beim Migros-Pionierfonds in den drei Themenbereichen Klima und Ressourcen, Technologie und Ethik sowie Zusammenleben. Und da springen wir nicht auf jeden neuen Trend auf, sondern fokussieren uns auf grosse gesellschaftliche Herausforderungen. Die verändern sich zwar tatsächlich über die Zeit, aber nicht so schnell wie etwa der neuste Web Three Trend. (Lacht). Wir nutzen eine Mischung aus Desk Research, Netzwerkpflege und Eventbesuchen, aber auch strukturierte Analysen wie Trend Maps, die wir im Team diskutieren, um am Puls der Zeit zu bleiben und zu identifizieren, wo aus unserer Sicht die grösste Relevanz liegt.

Wie fällt ihr mit dem Wissen daraus dann Entscheidungen bei der tatsächlichen Auswahl von Projekten?

Es gibt ein paar KO-Kriterien, wie die Passung zu unseren Themenfeldern, der Fokus auf die Schweiz und das frühe Stadium des Projekts. Dann stellen wir uns zwei wichtige Fragen. Die erste habe ich bereits erwähnt: Geht das Projekt ein zentrales gesellschaftliches Problem an? Und zweitens: Angenommen das Vorhaben klappt, wie gross ist der „Hebel“? Wie hoch ist das Potenzial, etwas zu verändern, also eine Transformation in Gang zu setzen? Wenn diese Fragen positiv beantwortet werden, schauen wir uns die Umsetzbarkeit des Projekts genauer an. Wir versuchen, die Entscheidung breit abzustützen, so gibt das Team als Ganzes eine Empfehlung ab, das letzte Wort hat jedoch ein dreiköpfiges Entscheidungsgremium.

Achtet ihr im Bezug auf die Umsetzbarkeit eines Projektes oder seinen Impact auf quantifizierbare Entscheidungsgrundlagen?

Ja. Dafür brechen wir die Kriterien, die ich geschildert habe, nochmal feiner runter und hinterlegen sie mit Werten, so dass wir die Unternehmen dann quantitativ beurteilen können. Das ist jedoch nur ein Teil des Ganzen, ausserdem bewerten wir anhand der Wirkungskette vom Projekt formulierte Annahmen.

Die Gretchenfrage ist ja immer, ob sich eine getroffene Entscheidung auf Dauer als richtig erweist. Wie geht ihr in euren Entscheidungsprozessen damit um: Sind Entscheidungen eher in Stein gemeisselt oder baut ihr Schleifen für Anpassungen ein?

Unsere Förderung ist etappiert aufgebaut, genauso wie ein Projektplan. Damit können wir laufend auf neue Erkenntnisse reagieren, etwa aus der Zielgruppenansprache oder der technischen Entwicklung. Wir bleiben also auch als Förderpartner agil.

Pablo Villars Portrait
Foto: Jasmin Frey

Wir bei HudsonGoodman treten in Entscheidungsumfeldern für Evidence-based Thinking ein, also ein abgesichertes Vorgehen auf Basis validierter Daten als Kontrast zu Bauchgefühl-Entscheidungen. Welchen Stellenwert kann so ein Konzept zum Beispiel für Förderentscheide haben?

Beim Treffen von Förderentscheiden ist das wichtigste Vehikel das Arbeiten mit Wirkungsketten, das explizite Treffen von Annahmen und deren Validierung, soweit möglich. Durch die erwähnte Quantifizierung können wir unsere Entscheidungen ebenfalls solider abstützen. Was das Bauchgefühl angeht: In der Projektbegleitung, nachdem eine Förderentscheidung gefallen ist, komme ich nicht daran vorbei, darauf zu achten – sowohl auf mein Bauchgefühl wie auch das der Projektpartner:innen. Es ist aber keine Frage, dass man etwa die Validierung eines Angebots oder auch einen Markteintritt strukturiert und in Phasen angehen muss. Deswegen haben wir auch Tools entwickelt, mit denen wir unsere Projekte dabei unterstützen, zu verstehen, ob sie zum Beispiel erst bei einem Product-Solution-Fit sind oder bereits ein Product-Market-Fit gegeben ist.

„Kein Plan lässt sich so verfolgen wie er anfangs aufgesetzt wurde.“

Auf dem Weg dahin kann einiges passieren. Wie geht ihr damit um, wenn ein Projekt sich nicht wie erwartet entwickelt?

Um proaktiv handeln zu können, führen wir mit den Projektpartner:innen einen transparenten Austausch über die Projektentwicklung. Dafür ist ein Vertrauensaufbau unersetzlich. Wir gehen gemeinsam in eine Diagnose und schauen, ob das Problem beim Projekt-Setup, bei den Ressourcen, der Governance oder beim Business Modell liegt. Und jeweils dort versuchen wir dann, zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist uns auch immer klar, dass sich ein Plan nie exakt so verfolgen lässt, wie er anfangs gemeinsam aufgesetzt wurde. Wir sind darum konstant im Gespräch mit Projektpartner:innen, wo es Sinn macht, Ziele anzupassen. Das betrifft aber immer nur den Weg hin zur verfolgten Wirkung. An der Wirkung selbst rütteln wir nicht mehr. Sie bleibt der Nordstern über die gesamte Förderperiode hinweg und auch darüber hinaus.

Ihr vermittelt also tendenziell eine Fail Forward Kultur auf dem Weg, aber mit klarem Zielfokus für das Endergebnis?

Ja, wir fördern eine Kultur, die Misserfolge als Lernchancen sieht, jedoch immer mit einem klaren Fokus auf das Endziel. Dialog und Unterstützung sind zentral, insbesondere bei unerwarteten Herausforderungen. Um erfolgreich ein Pionierprojekt umzusetzen, ist ein Growth Mindset essenziell, das es erlaubt, durch Herausforderungen zu wachsen – idealerweise gemeinsam.

Über die Projekte und Förderung des Migros-Pionierfonds


Der Migros-Pionierfonds unterstützt nachhaltige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen, um den systemischen Wandel in Richtung einer zukunftsfähigen Gesellschaft anzustossen. Der wirkungsorientierte Förderansatz verbindet finanzielle Unterstützung mit einem aktiven Förder- und Risikomanagement. Der Fonds ist Teil des gesellschaftlichen Engagements der Migros-Gruppe und verfügt über jährlich rund 15 Millionen Franken. Getragen wird er von Unternehmen der Migros-Gruppe wie Denner, Migros Bank, Migrol, migrolino und Ex Libris.
Weitere Informationen

Von 0 auf 100 – die Initiative, welche mutige Vorwärtsmacher:innen mit Tools, Inspiration und weiteren Ressourcen unterstützen.

Im Impact Guide wird die Methodik des Migros-Pionierfonds bezüglich der Wirkungsketten und Annahmen beschrieben.

Auf seiner Website werden die über 125 Projekte, die der Migros-Pionierfonds fördert, vorgestellt.

Foto Titelbild: Anna Veljkovic