Conversation

„Ich bevorzuge definitiv den Fail Forward Ansatz.“

Das ETH Student Project House erlaubt Studierenden, innovative Ideen zu realisieren. Wie sie dabei zu den Makers & Innovators von morgen werden, erklärt Student Project House-Head Lucie Rejman im Hudson Goodman Interview.
Student Project House Lucie Rejman Portrait

Wo werden innovative Ideen zum Leben erweckt? Vielleicht an einem „Ort für alle, die wagen, etwas anders zu machen“. So charakterisiert sich zumindest das das Züricher Student Project House (SPH). Das Angebot der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH gibt Studenten und Studentinnen die Möglichkeit, ihren Ideenreichtum praktisch auszutoben und dadurch zu den Machern und Innovatoren von morgen zu werden.

Untergebracht ist das SPH in den alten Mauern eines ehemaligen Fernheizkraftwerks. Wer an Symbolik glaubt, hat es damit leicht – denn Energie ist hier sozusagen seit jeher vorhanden.

Heute kommt die Energie aus Ideen, mit denen sich Studierende der ETH an das SPH wenden können, um dessen Angebot (von Coaching bis zu modernsten Maschinen) für ihre Projektrealisierung zu nutzen.

Studierende, die an einem innovativen Material arbeiten

Positive Kraft des Scheiterns statt Erfolgsdruck

Damit führt die ETH seit 2016 – bis heute – den praktischen Ansatz fort: Studierenden alle notwendigen Werkzeuge und Unterstützung bereitzustellen, um eine „Maker & Innovator“-Denkweise zu entwickeln. Das Projekt erfuhr enorme Nachfrage, wuchs und zog 2021 in das ehemalige Fernheizkraftwerk an der Zürcher Clausiusstrasse. Heute gehen hier täglich mehrere Hundert Studierende ein und aus. Ein weiteres Gebäude auf dem Campus Hönggerberg befindet sich derzeit in der Planungsphase, und zusätzliche kleinere Expansionen sind geplant.

Hudson Goodman hat SPH-Head Lucie Rejman getroffen. Im Interview erzählt sie, an was die Gestalter von morgen heute schon arbeiten. Und sie erklärt, warum man beim SPH nichts von Erfolgsdruck hält, sondern mit "Fail Forward" lieber bewusst auf die positive Kraft des Scheiterns setzt.

Einige Sofas und Stühle im Student Project House, Zurich
Futuristisch und doch gemütlich: das Student Project House der ETH Zürich ist mehr als nur ein Coworkingspace

Hudson Goodman: Was bedeutet Innovation für Dich?

Lucie Rejman: Theodore Levitt (deutsch-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Anm. d. Red.) sagte mal: Kreativität erdenkt Neues, Innovation macht Neues.

Innovation bedeutet für mich also, Ideen, die es so noch nicht gab, zu entwickeln und sie dann zu realisieren. Dafür braucht es viel Kreativität, Leidenschaft, Selbstvertrauen und Resilienz – bei einem Misserfolg gibt man nämlich nicht auf. Man schaut, was man nächstes Mal besser machen kann.

Das ist das erste Mal, dass ich jemanden den Akt des "Tuns" selbst als innovatives Handeln einschätzen höre.

Naja, das Denken selbst ist klar der Ausgangspunkt, es gewinnt aber erst an echtem Wert, wenn dann das Tun folgt.

In welchem Bereich gibt es Deiner Meinung nach heute das grösste Potenzial für echte Innovationen?

Ich glaube, dass wir derzeit vor verschiedenen globalen Herausforderungen stehen: Erderwärmung, der Verlust biologischer Vielfalt und weitere soziale und ökologische Herausforderungen. Das müssen wir alle gemeinsam angehen. Dafür werden wir kleine und grosse Ideen benötigen, Kooperationen und eben auch Innovationen.

Also die Zusammenstellung verschiedener Expertisen auf globaler Ebene.

Ja, genau!

Eine Gruppe von Menschen im Student Project House Zürich, die diskutieren

Welche Themenfelder stehen bei den Studierenden, die sich im SPH „austoben“ können, aktuell besonders hoch im Kurs?

Unter den vielen verschiedenen und höchst unterschiedlichsten Ideenfeldern, die Studierende bei uns gerade bearbeiten, ragen zwei Themenfelder besonders heraus: Nachhaltigkeit und neue digitale Technologien. Um nur einige im Bereich Nachhaltigkeit zu nennen: Wir haben Projekte, die alternative Verpackungen auf Basis von Algen oder Mikroorganismen entwickeln, Sensoren, die die Gesundheit unseres Bodens oder Wassers analysieren und neue Systemansätze für Lebensmittelproduktion wie Vertical Farming.

„Bei Student Project House gibt es keine Forschung. Studierende sollen ihre Ideen real bauen und testen können. Es geht ums Tun.“

Und was „köchelt“ im Bereich neuer digitaler Technologien?

Da haben wir viele Projekte, die mit künstlicher Intelligenz und VR oder AR arbeiten. Dabei geht es auch um die Anwendbarkeit von beidem, um im Alltag Herausforderungen zu lösen, mit denen wir konfrontiert sind. Das Projekt Rimon hilft zum Beispiel Frontline-Mitarbeitenden, Aufgaben und Probleme mithilfe von AR-Brillen zu lösen. Rimon ist eine Plattform, auf der Unternehmen Schritt-für-Schritt-Anweisungen als Augmented Reality erstellen.

Mitarbeitende bekommen sie über eine AR-Brille angezeigt und können die Anweisungen dann direkt ausführen. Das hat Vorteile in Bezug auf die benötigte Zeit für die Aufgabenausführung, Fehlerminimierung und Steigerung der Prozesseffizienz. Nicht zuletzt entfällt die Notwendigkeit, spezialisierte Mitarbeiter für Schulungen und ähnliches umherzufliegen.

Das sind in der Tat "Tun"-Projekte. Gibt es auch klassische Forschungs-Projekte?

Nein, nicht wirklich. Die ETH Zürich hat top Forschungsprojekte, aber bei uns hier im SPH sollen Studenten ihre Ideen umsetzen und dabei ganz viel für ihr Leben dazulernen.

Zum Beispiel haben Studentinnen einen Sensor entwickelt, mit dessen Daten sie die Gesundheit des Bodens beurteilen können, ohne dass Bodenproben von den Landwirten ins Labor geschickt werden müssen. Denn nur bei gesundem Boden können wir auch gesundes Gemüse ernten. Bei uns geht es also wirklich mehr ums Umsetzen.

Das erinnert an das Konzept der Citizen Science.

Absolut! Zum Beispiel haben wir RiverX, ein Projekt, das von Jessica (Droujko, Anm. d. Red.) entwickelt wurde. Als Umweltnaturwissenschaftlerin hat sie einen extrem kostengünstigen Sensor zur Messung von Wassergesundheit entwickelt.

Er könnte allen Menschen kostenlos bereitgestellt werden, die in ihrer Umgebung den Zustand fliessender Gewässer überwachen wollen. Einfach ausgedrückt zeigt die Wassertrübung anhand der Transparenz von Wasser das Vorhandensein von Schlickpartikeln, Algen oder Abwasser an. Sensoren, die so etwas messen können, sind normalerweise extrem teuer.

Weil Jessica sie aber als Open-Source anbietet, konnte sie eine umfangreiche Datenbank aufbauen und helfen, spezifische Lösungen für Probleme wie Verschmutzung oder Vergiftung von Flüssen zu entwickeln.

„Für uns zählt, dass Studierende ein Maker & Innovator Mindset entwickeln.“
Plenum im Student Project House Zürich
Im Pitchbereich können Studierende ihre Ideen vorstellen.

Nach welchen Kriterien werden Projekte für das SPH ausgesucht?

Wir heissen alle möglichen Ideen und Projekte willkommen. Für uns zählt Lernen und dass Menschen ein Maker- und Innovator-Mindset entwickeln. Das kann mit jedem Projekt gelingen. Die Voraussetzungen sind, dass Studierende an der ETH eingeschrieben sein müssen und ihre Projekte moralisch und ethisch vertreten können.

Wir haben im Sommer 2022 zum ersten Mal gesprochen. Was hat sich in den letzten 6 Monaten getan?

Ich kann damit beginnen, wie viele Projekte wir allein Ende Dezember hatten: 286! (lacht) Als wir das letzte Mal sprachen, waren es glaube ich rund 180. Das SPH wächst also. Darüber hinaus eröffnen wir im Gebäude nebenan gerade einen weiteren Makerspace für Metallarbeiten. Studierende können hier die Bedienung von CNC-Maschinen, alle Arten von Metallwerkzeugen und sogar Schweissen lernen. Diese Räumlichkeiten werden unser aktuelles Maschinen- und Werkzeugangebot perfekt ergänzen, weil dann auch komplexe Prototypen – z.B. aus Metall – gebaut werden können.

Neue Ideen und Innovationen ergeben sich nicht selten aus Kollaborationen. Hybride und transversale Zusammenarbeit bringt dabei manchmal unterschiedlichste Partner zueinander. Was ist das unerwartetste Beispiel für Zusammenarbeit, das Du beim SPH gesehen hast?

Ich liebe diesen Aspekt! In der Tat habe ich ein wirklich gutes Beispiel: die Kollaboration zwischen Autonomous River Cleanup (ACR) und Precious Plastic (PP). ARC ist im Wesentlichen ein Lastkahn, der Subsysteme zum Sammeln und Sortieren von Plastik und Kunststoffpartikeln aus Gewässern (in unserem Fall aus der Limmat) integriert.

Zunächst sammelt ein Förderband den Müll aus dem Fluss und bringt ihn an Bord. Dort erkennt ein Roboterarm mittels Bildanalyse die einzelnen Kunststoffarten und sortiert sie in verschiedene Behälter, während Algen und Seegras wieder ins Wasser zurückgehen.

Dann tritt Precious Plastic auf den Plan: Sie machen aus dem Kunststoff Alltagsgegenstände wie Flaschenöffner, Kleiderbügel und sogar Schmuck. Dafür nutzen sie ein Verfahren, bei dem der Kunststoff erst geschreddert, geschmolzen und in Formen gegossen wird. Wir unterstützen solche kollaborative Ansätze. Und wir hoffen, immer mehr davon zu sehen.

„Nur in einem Umfeld, in dem man weiss, dass Fehler gemacht werden können, fühlt man sich frei, verrückte Dinge auszuprobieren.“

Beim SPH gibt es keinen Erfolgsdruck, anders als bei anderen akademischen Angeboten. Ihr propagiert Fail Forward sogar als Teil eines neuen Mindsets. Wie findet man die Balance zwischen diesem Ansatz und einer Kultur, die das Streben nach Spitzenleistung honoriert? Beides ist ja für Innovationen notwendig.

Ich bevorzuge definitiv den Fail Forward Ansatz. Durch Scheitern voranzukommen, gehört in der Tat zu den Prinzipien des SPH. Nur in einem Umfeld, in dem man weiss, dass Fehler gemacht werden können, fühlt man sich frei, verrückte Dinge auszuprobieren.

Mehr noch: Je mehr Fehler gemacht werden, desto mehr Erkenntnisse gewinnt man. Ich bevorzuge auch Leidenschaft gegenüber Wettbewerb, weil ich glaube, dass Leidenschaft zu einer nachhaltigeren Arbeitsweise führt. Wenn Du Deine Energie in Jobs investierst, die Dich erfüllen, bist Du weniger ausgelaugt und Deine Begeisterung bleibt erhalten. Das aktiviert einen positiven Kreislauf von Leidenschaft, Energie und Kreativität.

Irgendwann trifft man aber auch mal auf harten Wettbewerb.

Vergleich ist wichtig. Aber man muss einen positiven Ansatz behalten. Bei Pitches sollte man denken, "Ich kann das, und ich will auch etwas beitragen!", anstelle in einen Moduse zu verfallen, in dem es nur darum geht, etwas besser zu machen als jemand anderes.

Eine Ganzansicht of the Zurich Student Project House.
Platz für Ideen: in diesem Raum wird Innovation betrieben.

Siehst Du die Herangehensweise beim SPH als eine mögliche neue Art des Lehrens und Lernens?

Auf jeden Fall! Wir sind offizieller Teil des Lehrangebots an der ETH. Exploratives Lernen, bei dem Studierende für ihr Projekt direkt Eigenverantwortung für ihr Projekt übernehmen, ist eine moderne Art des Lehrens. Bei uns sind die Studierenden nur aus intrinsischer Motivation da; sie erhalten keine Kreditpunkte. Durch die Entwicklung ihres eigenen Projekts trainieren sie so automatisch einen "Maker & Innovator" - Mindset.

Was würdest Du Dir für die Zukunft vom SPH wünschen?

Ich wünsche mir, dass wir zusätzlich super ausgestattete Makerspaces anbieten können. Für digitale Projekte, Food- und Lifescience-Projekte. Ich fände es toll, wenn unser Konzept auch andere Universitäten auf der ganzen Welt übernähmen. Je mehr Studierende den Maker & Innovator Mindset entwickeln und je mehr Ideen wir haben, welche die Probleme unseres Planeten lösen, desto mehr können wir gemeinsam eine bessere Zukunft schaffen.

Wir arbeiten bei Hudson Goodman nach dem Grundsatz „Make no little plans“. Was bedeutet dieser Satz für Dich?

Ich glaube an Träume. Und ich glaube, dass Menschen, die gross träumen, auf ihre Fähigkeiten vertrauen und ihr Energielevel hoch halten, alles schaffen können, was sie wollen. Ich würde also nicht einmal sagen „Make no little plans“, sondern eher „Träume gross und folge deiner Leidenschaft“.

Info zur Interviewpartnerin

Lucie Rejman ist seit 2019 Jahren Head of Student Project House. Die promovierte Ingenieurin für Lebensmitteltechnologie hält Vorlesungen im Bereich Food Innovation und wurde kürzlich zur Expertin der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung, Innosuisse, ernannt. Lucie setzt sich für menschenzentriertes Design als Lösungsansatz für globale Herausforderungen ein und glaubt fest an die Innovationskraft junger Generationen.