Conversation

"Die Herausforderung ist, Technologien verständlich und vertrauenswürdig zu machen.“

In der digitalen Welt klafft zwischen Experten und Endusern eine Kluft. Wie die sich verringern lässt, was Menschen neue Technologien näherbringt und welche Rolle Data Storytelling dabei spielen kann, besprechen wir mit Peter Kunszt von Systemorph.
Peter Kunszt lächelt vor seinen Bildschirmen

Die digitale Welt der Datenverarbeitung im Finanzwesen ist – wie viele andere Branchen auch – seit Jahren unablässig im technologischen Wandel. Neue Technologien werden auf innovative Weise eingesetzt – zur Begeisterung von Experten, oft aber auch zum Verdruss von Anwendern. Zwischen beiden Fraktionen klafft eine Lücke, die sich vom Verständnis bis zur Sicherheit im Umgang und damit bis in die Anwendbarkeit zieht.

In einem aufschlussreichen Gespräch beleuchtet Peter Kunszt, Head of Product von Systemorph, die Herausforderungen beim Bestreben, neue Technologien Menschen näher zu bringen und den Umgang mit grossen Daten in der Anwendbarkeit zu erleichtern. Wir sprechen über die Systemorph-Philosophie, Komplexes einfacher zu machen, den wachsenden Zuspruch für Public Cloud Anbieter und den Einsatz von Data Storytelling.

Hudson Goodman: Was bedeutet Innovation für Dich?

Peter Kunszt: Ich definiere Innovation für mich als eine Veränderung mit positiver Wirkung. Sytemorph ist dafür ein gutes Beispiel: Wir versuchen, bestehende Dinge zu verbessern, und das kann man nur, indem man sie ändert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man macht sie völlig obsolet und ersetzt sie durch etwas Neues, oder man ändert die Anwendbarkeit der Dinge zu etwas, das bisher noch nicht da war und Anwendern Neues ermöglicht. Diese Art von Verbesserung und Veränderung bedeutet Innovation für mich.

Aber wird Veränderung immer mit offenen Armen empfangen?

Menschen lehnen Veränderung oft ab. Auf dem Markt muss man die Menschen dann davon überzeugen, dass die Veränderung eine gute ist. Man braucht einen langen Atem, um das zu tun, und man muss an sich selbst glauben. Letztendlich ist für Innovationen immer auch Mut erforderlich.

Welcher Bereich hat aus Deiner Sicht momentan besonders grosses Potenzial für echte Innovationen?

Nun, es ist sehr schwer vorherzusagen, was in Zukunft innovativ sein wird. Wäre es leicht, würde sich jeder Investor sofort darauf stürzen (Peter lacht). Allein in unserer Domäne – Daten und Datenverarbeitung im Finanzwesen – gab es in den letzten 20 Jahren unglaublich viel Innovationen: rechnergestützte wissenschaftliche Prozesse und Datenwissenschaft – diese Bereiche sind geradezu explodiert. Als Profi musst du da ständig auf dem Laufenden bleiben und fortlaufend lernen. Das Problem dabei ist allerdings, dass die enormen Innovationen das Ganze sehr komplex machen. Was es aus meiner Sicht darum in der nahen Zukunft braucht, sind Wege, die Dinge zu vereinfachen und wieder zugänglich zu machen.

„Wir müssen die Kluft zwischen Experten und Endusern schliessen.“

Was sind die grössten Herausforderungen dabei?

Gerade tut sich eine Kluft auf zwischen Experten bzw. Geeks, also denen, die die neuen Technologien verstehen, und den Endusern. Sie wird immer grösser, weil heute jeder digital ist. Es ist wichtig, diese Kluft zu schliessen, damit die Menschen Entwicklungen besser nachvollziehen können und dem, was entwickelt wird, mehr Vertrauen schenken können. Das gilt für alle Bereiche: von der Medizin über Finanzen bis hin zur Kommunikation.

Danilo Calderini stellt eine Frage an einer Konferenz

Was macht Ihr als Unternehmen konkret, um das zu verbessern?

Bei Systemorph haben wir eine Plattform entwickelt, die darauf abzielt, einen Grossteil der Komplexität der ihr zugrunde liegenden Technologien zu verbergen. Trotzdem müssen wir Endusern immer noch viele Dinge erklären. Darum konzentrieren wir uns aktuell darauf, unsere Anwendung intuitiver bzw. einfacher bedienbar zu machen.

Auf Eurer Website findet sich die interessante Aussage "Systemorph wurde 2011 mit der Mission gegründet, das Datenmanagement für Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistungsunternehmen zu revolutionieren. Diese Mission ist bis heute dieselbe wie am ersten Tag.“ Was hat sich seit Eurer Gründung im Bereich Datenmanagement verändert?

Um auf das zurückzukommen, was ich vorhin gesagt habe: Was vor zehn Jahren nur eine Nische war, ist heute alltäglich geworden. Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, die Nutzung sogenannter NoSQL-Datenbanken und Data Lakes wurde damals erforscht – heute sind diese Konzepte dank vieler technischer Innovationen mittlerweile Mainstream geworden. Ausserdem akzeptieren grosse und konservative Unternehmen mehr und mehr internationale Cloud-Anbieter wie Azure, Google, Amazon, IBM, Oracle. Die anfängliche Skepsis gegenüber dem Datenhandling durch solche grossen Anbieter ist gewichen.

Was hat zu der Akzeptanz geführt?

Cybersicherheit und Skalierbarkeit, um nur zwei Aspekte zu nennen. Es gibt schlicht keine Möglichkeiten, da mit den grossen Anbietern Schritt zu halten. Diese Unternehmen investieren so viel in die Infrastruktur, dass dein Server im Keller im Vergleich immer unsicherer sein wird und schwieriger zu warten ist. Ich kenne zwar kleinere Unternehmen aus der Schweiz, die auf diesem Markt aktiv sind, aber sie können nicht wirklich mit den grossen konkurrieren, die allein für Cybersicherheit Jahresbudgets von einer Milliarde Dollar haben.

„Vor zehn Jahren hätten die wenigsten grösseren Unternehmen ihre Daten bei grossen amerikanischen Anbietern gespeichert. Heute tun sie es.“

Warum habt Ihr euch für einen Public Cloud-Anbieter statt für eine selbstverwaltete Private Cloud entschieden?

Wir wollten vollständig Cloud-nativ werden und haben darum vor 2–3 Jahren begonnen, das On-Premise-Konzept durch ein On-Your-Own-Cloud-Tenant zu ersetzen. Das bedeutet, dass unser Kunde immer einen eigenen Vertrag mit einem Anbieter hat, unabhängig davon, ob es sich um Azure, Google oder Amazon handelt. In dieser jeweils individuell gewählten Cloud-Umgebung können wir den Unternehmenskunden unsere Dienste aufsetzen und zur Verfügung stellen. So lässt sich also beispielsweise ein Azure-Server nutzen statt auf On-Premise oder Private Clouds (die oft selbst auch als On-Premise-Konzept verwendet werden) zu setzen. Das ist ein akzeptiertes Verfahren, und unsere Kunden – seien es grosse Versicherungen, Banken oder andere Unternehmen – bewegen sich mittlerweile alle in diese Richtung. Vor zehn Jahren hätten sie ihre Daten nicht bei grossen amerikanischen Anbietern gespeichert. Heute aber tun sie es.

Das Systemorph-Team

Systemorph arbeitet mit hochsensiblen Daten von Versicherungen und Banken. Wie werden Datenschutz und Informationssicherheit in einer Cloud-Umgebung wie der, für die eure Plattform entwickelt wurde, gewährleistet?

Das A und O ist natürlich, das System, mit dem man arbeitet, exzellent zu verstehen. Dazu muss man den Umgang mit diesen grossen Cloudsystemen trainieren. So sind wir zum Beispiel Microsoft Goldpartner, was bedeutet, dass wir mindestens 5 Personen im Unternehmen haben, die die schwierigsten Zertifizierungen bei der Nutzung der Cloud erhalten haben. Diese Zertifikate müssen jedes Jahr erneuert werden, so dass wir sowohl Inhouse-Expertise für all diese Technologien haben, als auch fortlaufend auf dem neuesten Stand sind. Überhaupt ist es wichtig, als Unternehmen zertifiziert zu sein und die relevanten ISO-Zertifizierungen zu haben. Kunden müssen sich darauf verlassen können, dass unsere Verfahren und Prozesse standardisiert und zertifiziert sind. Auch wenn sie Schritte in neue Richtungen macht, bleibt die Finanzwelt konservativ, und die Menschen, die in ihr arbeiten, wollen sich sicher fühlen und sicher sein.

Was findet auf Programmebene in Bezug auf Sicherheit statt?

Natürlich gibt es für Probleme die Frühwarnsysteme der Technologieanbieter, mit denen wir kooperieren. Unabhängig davon beschäftigen wir uns aber auch selbst mit der Verschlüsselung hochsensibler Daten. So gibt es Zugriffskontrollen, die sicherstellen, dass nur Angehörige bestimmter Gruppen Datenzugang bekommen. In einem multinationalen Unternehmen mit Sektionen in den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz, sind dann beispielsweise die Schweizer Daten auch nur dem Schweizer Team zugänglich, das wiederum keinen Zugang zu Daten der anderen Länder hat. Lediglich Entscheider auf übergeordneten Unternehmensebenen können alles sehen. Für diesen Sicherheitsaspekt sorgen nicht die grossen Anbieter – wir bauen ihn selbst in unser System ein. Natürlich setzen wir dabei aber auf bestehenden Technologien auf.

Lass uns über „Data Storytelling“ reden. Wie wichtig ist es, das Verständnis von Daten zu erleichtern, wenn man neue Technologien für jedermann zugänglich machen möchte?

Die jüngste Pandemie zeigt das sehr gut. Wir wurden mit allen möglichen Zahlen, Projektionen und Vorhersagen konfrontiert. Aber viele Menschen stellten diese Daten in Frage. Beim Data Storytelling ist es darum nicht nur wichtig, Fakten zu erklären, sondern auch zu zeigen, wie man Daten interpretiert, wie man sie diskutieren kann und wo sie noch nicht präzise genug sind. Es gibt immer diese beiden Aspekte ‚Harte Beweise‘ und ‚Interpretation‘. Und genau da kommt Data Storytelling ins Spiel.

Mitarbeiter von Systemorph diskutieren neue Lösungsansätze

Auf welche Art?

Man muss zeigen, dass Fakt X auf bestimmten Informationen basiert und darum unbestreitbar ist. Was aber X bedeutet, muss dadurch klar gemacht werden, dass es interpretiert wird. Durch diese Interpretation kann man Schlussfolgerungen ziehen oder Entscheidungen treffen. Natürlich muss die Geschichte, die du bei dieser Interpretation erzählst bekommst, etwas mit dir zu tun haben. Im Finanzbereich heisst das zum Beispiel für die Menschen, die Risikoanalysen und komplexe Mathematik betreiben: Wenn sie ihre Ergebnisse Vorständen präsentieren, also Menschen, die keine Mathematiker sind, muss das mit Modellen geschehen, die für deren Welt zählen und die dort wichtigen Fragen beantworten: Wo sollen wir investieren und wo besser nicht?

„Es gibt immer diese beiden Aspekte ‚Harte Beweise‘ und ‚Interpretation‘. Genau da kommt Data Storytelling ins Spiel.“

Das heisst, das Storytelling eine ganz klare Funktion hat.

Ja. Storytelling ist entscheidend dafür, dass Menschen sich etwas vorstellen und Lücken selbst schliessen können. Die richtige Sprache dafür zu finden, ist sehr wichtig und lässt sich erlernen. Letztlich geht es hier darum, Daten zugänglich zu machen und die Kluft zwischen Experten und normalen Anwendern zu schliessen. Data Storytelling ist dafür ein sehr schöner Denkprozess und eine schöne Art, Dinge zu betrachten. Am Ende sind Daten das, was man daraus macht. Man muss das einfach trainieren – und wenn man das tut, kann immer wieder etwas Neues entdecken.

Wie wird sich aus Deiner Sicht das Datenmanagement in den nächsten 10 Jahre verändern?

Wie gesagt, gab es in den letzten zehn bis zwanzig Jahre rasante Entwicklungen, und ich glaube, dass das anhalten wird. Wir und auch unserer Kunden müssen damit Schritt halten. Wir müssen Technologien voranbringen und immer wieder das richtige „Werkzeug“ für jedes Problem finden. Technologien dabei verständlich und vertrauenswürdig zu machen, ist die grosse Herausforderung, um die grösser werdende Kluft zwischen Experten und Anwendern zu schliessen. Mir macht diese sich ständig verändernde Umgebung Spass, aber für manche Menschen ist es beängstigend.

Wie unterstützt eine Cloud-Plattform die Möglichkeiten, in einem Unternehmen evidenzbasiert zu entscheiden?

Grundsätzlich ermöglicht evidenzbasiertes Entscheiden, im Geschäft zu bleiben. Dafür musst du allerdings wissen, woher du die nötigen Daten bekommst, du musst die Daten verstehen und du musst sie dann zu etwas Sinnvollen – einem Modell für eine datenbasierte Zukunftsprognose – verdichten. Da kommt die Cloud ins Spiel. Weil auf ihr die benötigten Daten vorhanden sind, lassen sie sich auch dort sammeln und anschliessend modellieren. Das bedeutet für Unternehmen, dass sie lernen müssen, wie man eine Cloud-Plattform bedient. Sie brauchen das Know-how dafür. Denn hast du das Know-how, musst du das Datenmanagement und Datenmodelling für evidenzbasiertes Entscheiden nicht länger auslagern. Du kannst es stattdessen internalisieren. Und das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

Wir bei Hudson Goodman arbeiten nach dem Grundsatz „Make no little plans“. Was bedeutet diese Aussage für Dich?

Das Erste, was mir da in den Sinn kommt, ist das berühmte Zitat von Norman Vincent Peel "Shoot for the moon. Even if you miss you will land among the stars". Ich denke: Du wirst niemals einen Schuss wiederholen, also wähle von Anfang an ein grosses Ziel.

Über den Interviewpartner

Peter Kunszt ist seit 2020 Head of Product bei Systemorph, einem Anbieter von Data Management Lösungen für Versicherungen und Banken. Der promovierte Physiker arbeitete vorher in verschiedenen Software- und Dienstleistungsunternehmen in der Schweiz und in Spanien sowie am CERN, das er als "das schönste Beispiel für menschliche Zusammenarbeit" empfand. Peter legte in den Siebzigerjahren erstmals seine Hände auf die Tastatur eines Computers – seine Begeisterung für neue Technologien hat seitdem nicht nachgelassen.