34 %. Kümmerliche, desillusionierende 34 %. So niedrig lag einer Studie der Universität Würzburg zufolge Anfang 2022 die Fähigkeit auf dem Markt befindlicher Schnelltests, die Omikron-Variante des Corona-Virus zu erkennen. Zwei Drittel aller Infektionen blieben unbemerkt. Man stelle sich vor, die Performance neuer Innovationsideen ergäbe eine ähnlich niedrige Quote. Nie von Apple Newton gehört? Kein Wunder: Apples erstes Touchscreen Gerät war ein teures Innovationsprojekt, das es bis auf den Markt schaffte und dann jämmerlich krepierte.
Beispiele von Innovation Failures existieren zuhauf. Verursacht werden sie zum Beispiel durch eine schlechte Datenlage oder durch das Testen der Idee unter “Laborbedingungen” statt in der echten Marktrealität. Wer das vermeiden möchte, muss zunächst das Fehler- und Schwächenpotenzial von herkömmlichem Testansätzen im Blick haben.
Jede gute Idee erfordert, ihren potenziellen Mehrwert im Markt zu validieren. Herkömmliche Innovationsframeworks beschreiben dafür verschiedene Testdesigns. Diese erzeugen jedoch oftmals ein verzerrtes Abbild davon, ob die Idee wirklich wertvoll für potenzielle Kund:innen ist – beispielsweise aufgrund von Confirmation Biases, kuratierter Charakteristika der Testpersonen und dem Abfragen einer blossen Kaufabsicht (statt des tatsächlichen Kaufs). Diesen Schwächen begegnet "evidenzbasiertes Ideen-Testing" mit quantifizierbaren, digital gestützten Methoden, welche in Echtzeit reale Transaktionen messen. So kann der Wert einer Idee unter Marktbedingungen verifiziert werden.
Schwächen bekannter Innovations-Testmethoden
Ideen-Testing ist unbestritten wichtig und darum auch in allen Innovations-Frameworks verankert. Lean Startup etwa basiert auf dem Prinzip „try, learn and adapt“ und arbeitet mit Methoden wie qualitativen Nutzerinterviews, Umfragen oder sogenanntem “Shadowing”. Diese Form von Ideen-Testing birgt jedoch einige Nachteile.
Hier die Top 3 der Test-Fehler, welche das tatsächliche Potenzial einer Innovationsidee verfälschen können.
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Testen der blossen Kaufabsicht (statt des tatsächlichen Kaufs)
Statt der Zielguppe ein physisch vorliegendes Produkt oder eine tatsächlich existierende Dienstleistung anzubieten, zeigen die Innovator:innen ihrer Zielgruppe lediglich eine Art Werbung für das Produkt und fragen dann: “Gäbe es dieses Produkt / diese Dienstleistung: Würden Sie es erwerben?” Viele befragte Menschen bejahen eine solche Frage. Wenn das Angebot aber auf dem Markt ist, kaufen sie es dann nicht: zu teuer, kein Interesse, ungleich der Erwartung. -
Kognitive Verzerrungen
Statistisch irrelevante Signale werden als positive Zeichen (Confirmation Bias) oder positive Verhaltensmuster (Clustering Illusion) gewertet. Beispielsweise nutzen manche Innovator:innen die "Google Keyword Search", um zu testen, wie hoch das Kaufinteresse an ihrer Idee wäre. Dabei überbewerten sie selbst relativ niedrige Suchvolumenwerte als Indikation für das tatsächliche Kaufinteresse einer Zielgruppe, obwohl die Werte nicht aussagekräftig genug sind. -
Kuratierte Charakteristika der Testpersonen & zu kleines Sample
Personen für eine zu testende Idee werden aktiv (über ein Tool oder im Bekanntenkeis) mit einer limitierten Anzahl rekrutiert. Dabei sollen sie einer künstlichen Definition möglicher psychografischer / demografischer Merkmale entsprechen, die der Wunschzielgruppe gleichkommt. Die Auswahl an Testpersonen entspricht aber nicht den echten Merkmalen der Zielgruppe unter realen Marktbedingungen, in denen verschiedenste Menschen sich im eigenen Kontext (nicht unter Testbedingungen) mit dem neuen Angebot auseinandersetzen. Dies ergibt ein hohes Risiko für statistische Fehler (beispielsweise aufgrund zu weniger Testpersonen) und kognitive Verzerrungen.
Kurz gesagt: Tests unter diesen Bedingungen kommen einer Realitätsflucht gleich. Sie liefern (oft unzulängliche) Ergebnisse aus einer künstlichen Welt, die mit der echten wenig gemein hat. Was lässt sich tun?
Evidenzbasiertes Ideen-Testing: valide Information aus dem Zielmarkt
Ideen-Testing, um relevante Daten über die Tauglichkeit einer Idee zu erhalten, funktioniert tatsächlich nur mit Information, die unter realen Bedingungen entsteht und somit empirische Evidenz reflektiert: evidenzbasiertes Testing eben. Aus einem solchen Prozess entstehen nicht nur belastbare Erkenntnisse, sondern drei grosse Freiheiten.
Das Verkaufspotenzial mit echten Transaktionen messen
2007 testeten die Dropbox-Macher ihr künftiges Produkt (Dateienspeicherung in der Cloud) bei potenziellen Kund:innen. Sie zeigten diesen ein Erklärvideo der Prototypen-Benutzeroberfläche, das ihnen vermittelte, wie intuitiv die Lösung sein würde – wie das Produkt im Detail funktionierte, war nicht einmal Teil des Videos. Statt sie zu fragen, ob die potenziellen Kund:innen Interesse hätten, ermöglichten die Dropbox-Macher eine Anmeldung per Online-Formular. Der enorme Zuspruch (75.000 Dropbox-Anmeldungen in kürzester Zeit) war ein messbarer und klarer Indikator für das Verkaufspotenzial.
Begeisterungswellen auslösen – mit dem "Minimum Lovable Product"
Auch herkömmliches Ideen-Testing ermöglicht, das Potenzial eines Angebots zu testen, wenn der Prototyp des Angebots nur wenige der geplanten Funktionalitäten aufweist. Neu im Kontext von evidenzbasiertem Ideen-Testing: Der Prototyp muss am Markt einzigartig sein und gleichzeitig höchste Wellen der Begeisterung auslösen können. Man spricht hier vom “Minimum Lovable Product” (MLP) statt eines "Minimum Viable Product" (MVP). Ein Prototyp dieser Art ist vergleichsweise unkompliziert herzustellen (Stichwort „Rapid Prototyping“), aber gut genug, um am Markt gegen etablierte Konkurrenten anzutreten.
Kleines Budget? Kein Problem
Evidenzbasiertes Ideen-Testing setzt entgegen der landläufigen Meinung keinen millionenschweren, jahrelangen Innovationsprozess voraus. Der Fokus liegt noch stärker darauf, solide Hypothesen und genaue Annahmen zu formulieren, den Prototypen mit sehr wenigen (aber starken) Wertversprechen zu besetzten und diesen mittels eines übersichtlichen Testdesigns im realen Markt zu testen. Mit (digitalen) Tools, die vielfach gratis sind, (z.B. Google Analytics) lassen sich so valide Einsichten in kurzer Zeit mit kleinen Budgets generieren.
Wie evidenzbasiertes Ideen-Testing tatsächlich abläuft und was dabei zu beachten ist, erklärt Teil 2 unserer Serie zum Ideen-Testing.
Interesse, wie evidenzbasiertes Ideen-Testing funktioniert? Hier geht's zum zweiten Teil der Serie zum Thema evidenzbasiertes Ideen-Testing.