Conversation

„Es geht um jetzt und heute.“

Das Schweizer Startup rrreefs tritt dem weltweiten Riffsterben entgegen. Eine Mammut-Mission. Co-Gründerin Marie Griesmar erzählt im Interview, welche Rolle Frauenpower, eine starke Community und Leidenschaft für ihren Job spielen.
Header image: Marie Griesmar taucht zu den Riffen.

Kann gebrannter Ton die Welt retten? Unter Wasser vielleicht – zumindest die Welt der Riffe.

Das Schweizer Startup rrreefs hat dafür modulare Teile aus Ton entwickelt, die es im 3D-Druck anfertigt, brennt und dann zu künstlichen Riff-Strukturen zusammensetzt. So können Riffbewohner wie Korallenlarven, Algen oder Fische unterschiedlichster Art neue Lebensräume dort bewohnen, wo alte vom Klimawandel ruiniert werden.

Den Beweis, dass es funktioniert, führt rrreefs vor der Küste des kolumbianischen San Andrés an. Das Pilot-Projekt zeigt dabei auch, wie ein gemeinsames Ziel Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund vereint und zu Grossem befähigt.

Wir haben die rrreefs Co-Gründerin und Künstlerin Marie Griesmar persönlich getroffen. Wie Gewinnstreben durch Leidenschaft abgelöst werden kann und welche essentielle Rolle die Community für die rrreefs Mission spiel, erzählt sie in diesem Interview.

Marie Griesmar Portrait
Teilt ihre Zeit für rrreefs auf Atelier, Meetings und dem Ozean auf: Marie Griesmar. Foto: M.Berger

HudsonGoodman (HG): Ihr produziert Tonziegel im 3D-Druck, aus denen dann in Ozeanen Riffe gebaut werden. Für eine Künstlerin aus einem Binnenland wie der Schweiz ist das nicht gerade die naheliegendste Beschäftigung. Wie ist es dazu gekommen?

Marie Grismar: Ich bin vielleicht so etwas wie eine Binnen-Künstlerin, aber wir haben in der Schweiz ja viele Seen und sind damit umgeben von Wasser. Ich tauche seit meiner Kindheit in diesen Seen und wollte immer mehr darüber lernen. Ausserdem liebe ich das Meer und bin mit meinen Eltern früher oft in die Bretagne zum Tauchen gereist.

Da fröstelt es mich mit meiner Hassliebe zu kaltem Wasser.

Es ist, gelinde gesagt, kalt. (Lacht)

Könnte man Deine Geschichte also so erzählen: Du wurdest im Wasser zur Künstlerin?

Künstlerin wurde ich erst später. Zunächst habe ich mit 17 meine Zeit darauf verwendet, Profi als Tauch-Guide zu werden. Der Ozean wurde dann meine Inspirationsquelle für eigentlich alles, was ich tue. Mittlerweile arbeite ich seit zehn Jahren an künstlichen Riffen.

3D-gedruckte Riffe
3D-gedruckte Riffe auf dem Trockenen. Foto: M.Griesmar

Du weisst also, wie es „da unten“ aussieht. Was ist aus Deiner Sicht der Status quo?

Es sieht nicht gut aus. Ich meine, es sah mal grossartig aus. Zum Beispiel in den tropischen Teilen der Ozeane, die für mich die interessantesten sind. Aber das bunte Bild, das wir in unseren Köpfen haben, sieht man da heute nicht mehr.

Die spektakulären, über Jahrmillionen gewachsenen Korallenriff-Formationen gibt es zwar noch. Aber wo Du vor 15 Jahren noch all diese hellen, bunten Myriaden von Fischen sehen konntest, wo Du Dich angesichts der Formen und Farben wie in einem Gemälde gefühlt hast und Dich fragest „Bin ich noch auf der Erde?“, da gibt es heute kein Leben mehr.

Wenn ein Riff lebt, hört man es, man kann alle möglichen Sachen wahrnehmen, zum Beispiel wie Fische Korallen fressen. Jetzt hört man nichts. Es ist einfach sehr still. Korallenriffe sind in Gefahr

Ich versuche, mir Wissen anzueignen, dass ich auch auf Korallenriffe in der Schweiz anwenden kann.

Auch in Binnenländern wissen wahrscheinlich die meisten, dass das Sterben der Riffe schlecht für unser Ökosystem ist. Aber welche Relevanz hat das für uns hier in der Schweiz? Kritiker könnten Dich fragen, warum Du am anderen Ende der Welt ein Meeres-Ökosystem schützt, Dich aber zum Beispiel nicht mit dem Boden des Vierwaldstättersees beschäftigst.

Das ist eine gute und absolut berechtigte Frage. Ich sage immer, wenn du dich zu etwas berufen fühlst und merkst, dass du darin gut bist, dann solltest du dem Ruf folgen. Meine Verbindung zum Ozean kommt daher, dass ich dieses Ökosystem auf besondere Weise wahrnehme. Ich arbeite dabei seit vielen Jahren mit Wissenschaftlern zusammen und versuche mir Wissen anzueignen, dass ich auch hier in der Schweiz auf Korallenriffe anwenden könnte.

Vom Wissenschaftsbereich bis zur Leitung eurer Field Operations habt ihr bei rrreefs eine beeindruckende Frauenquote, die nahe an 100 % kratzt. Wie prägt das eure Arbeit?

Es ist unsere Art des Herangehens und funktioniert für uns bisher einfach gut. Wir sind vier Frauen, von denen eine Meeresbiologin und eine Ozeanographin sind. Als Wissenschaftlerinnen verstehen sie, was in Zusammenhang mit dem Zustand der Riffe auf dem Spiel steht und wie man ein solches Ökosystem rehabilitiert.

Hinzu kommt Josephine, die aus dem Bereich International Relations kommt. Sie weiss, wie man Menschen verbindet und Partner:innen findet. Und Sie haben mich, eine Taucherin mit einem Verständnis für Morphologie und Formen. Wir passen gut zusammen.

Das liegt aber nicht daran, dass wir Frauen sind, sondern daran, dass wir jeden Tag davon überzeugt sind, dass das, was wir tun, relevant ist. Wir haben diese Liebe zum Meer, die uns wie verrückt antreibt.

3D-gedruckte Riffe im Einsatz

Welche Rolle spielt in der Arbeit von rrreefs eure Community?

Ohne die Community wären wir nicht so weit gekommen. Es ist unglaublich, wie die Menschen ihre Zeit in rrreefs investieren. Manche sind Vollzeit woanders beschäftigt und dennoch immer wieder stundenlang für uns da. In einem Startup gibt ja jeder sein Äusserstes und hat dann hin und wieder dennoch das Gefühl, dass die Zeit nicht reicht, um alles zu schaffen. In solchen Fällen haben wir dann bisher noch immer jemanden in unserer Community gefunden, der sagt: „Hey, ich weiss, wie wir es hinkriegen.“ Das ist toll.

Uns treibt die Leidenschaft für das, was wir tun. Das ist anders, als von Gewinndenken motiviert zu sein.

Wie unterscheidet sich rrreefs von Unternehmen, die länger auf dem Markt sind?

Wir sind kein klassisches Wirtschaftsunternehmen und kommen eher von einer nicht-strukturierten Art und Weise des Arbeitens. Die wird jetzt strukturierter. Das hilft uns, effizienter zu werden.

Noch sind wir in der Lernphase, die wohl jedes Startup durchläuft. Ein weiterer Unterschied ist, dass uns unsere Leidenschaft für das, was wir tun, antreibt. Das ist etwas anderes, als von Gewinndenken motiviert zu sein.

Das ist ein interessanter Punkt. Tatsächlich werden Startup-Gründer:innen, die eine Vision antreibt, ja früher oder später immer gefragt, „Wie wollt ihr Gewinn machen?“. Da ist dann die Frage, wie man Partner findet, die argwöhnisch schauen, weil man nicht…

... ihre Herangehensweise hat.

… oder ihren Werten folgen will.

Absolut. Für uns geht es um Biodiversität und das, was für sie Bedeutung hat. Wenn wir mehr Riffe implementieren können, können wir mehr Lebensräume schaffen. Der Schutz von Korallenriffen ist entsprechend selbst bereits ein extremer Wert.

Nur interessieren sich die Leute oft mehr dafür, wie man einen Return on Investment erzielt. Wenn sie uns zum ersten Mal treffen, hören wir dann: "Schön und gut, aber ihr seid nur eine Umweltgeschichte, ein Verein, und kein richtiges Unternehmen.“

Und dann?

Dann sehen sie, wie ernst es uns ist und dass wir an der Lösung eines echten Notfalls arbeiten. Wir planen nichts, was vielleicht mal in zehn Jahren an den Start geht. Es geht um jetzt und heute.

In Zürich gibt es eine Startup-Mentalität und Offenheit, Dinge mal anders anzugehen.
Leben auf einem künstlichen Riff im Ozean.
Das Riff fängt an, zu leben. Foto: M. Griesmar

Wie wirkt es sich aus, dass ihr mit eurem Unternehmen in der Schweiz sitzt?

Wir haben in gewisser Weise Glück, dass wir in der Schweiz sind. In Zürich gibt es eine Startup-Mentalität und die Offenheit, Dinge mal anders anzugehen. Hier können wir kreativ werden und eigene Lösungen finden. Wir haben ein Crowdfunding gestartet und Wege gefunden, unserem Anliegen mehr Gehör zu verschaffen. Das alles braucht viel Zeit und Einsatz, aber das ist es wert, weil wir es auf unsere Art machen können.

Ein Herzensprojekt auf die eigene Art umzusetzen zu können, erlaubt, eine Vision besonders authentisch zu vermitteln. Ich könnte mir vorstellen, dass das besonders Menschen anspricht, die sich engagieren wollen. Macht ihr diese Erfahrung?

Bei Menschen, die zu uns kommen, ist die Motivation oft so etwas wie „Ich kann helfen, also möchte ich es auch tun. Und ich will mir einfach sagen können, dass ich etwas Gutes tue.“ rrreefs macht das möglich – übrigens auch uns Gründerinnen selbst. (Lacht) Das ist sehr cool und auf jeden Fall etwas, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen.

Es mangelt euch also nicht an engagierten Menschen, die eure Vision teilen und sich einbringen. Da bleibt aber immer noch das leidige Thema Funding übrig. Als Non-Profit-Startup ist das für euch von besonderer Bedeutung. Wie sind da eure Erfahrungen?

(Pause) Um ehrlich zu sein: Es ist manchmal ein Kampf. Wir denken immer darüber nach, wie wir die Mittel für die Erfüllung der Mission bekommen, die uns so wichtig ist. Denn wenn wir mehr Geld hätten, wäre natürlich alles einfacher: Wir könnten unseren Produktionsprozess optimieren, mehr Mitarbeiter beschäftigen und effizienter werden.

Du musst bereit sein, in Feldern voranzukommen, die per se keine Komfortzonen bieten.

Was würdest Du Menschen empfehlen, die eine Vision haben und eine Veränderung auf innovativem Weg angehen möchten? Mit wem sollten sie zuerst sprechen?

Gute Frage. Ich denke, es hängt wirklich davon ab, über welche Art von Innovation man spricht. Für mich wusste ich, dass ich in meinem Bereich, der Kunst, nicht alle Antworten finden würde. Also musste ich mich an Leute wenden, die sich für Wissenschaft interessierten. Dann wurde mir klar, dass ich mehr Wissen über Fertigungsprozesse brauche. Deshalb habe ich mich für ein Stipendium an der ETH Zürich beworben, um am Departement Architektur etwas über digitale Fabrikation zu lernen.

Meine Empfehlung ist also: Schau, in welchem Feld dir deine Fragen beantwortet werden können, und versuche, dieses Feld zu betreten. Sprich mit Menschen, die in ihrem Bereich versiert sind und deine Idee verstehen können. Du musst bereit sein, in Feldern voranzukommen, die per se keine Komfortzonen bieten. Bist du das, ist das auch meiner Sicht der beste Weg, eine innovative Idee anzugehen.

Wir arbeiten bei HudsonGoodman nach dem Grundsatz „Make no little plans“. Was bedeutet dieser Satz für Dich?

(Denkt lange nach) Das gilt für das, was ich tue. Bei rrreefs muss ich gross denken, denn je mehr ich an das Projekt glaube, desto höher ist die Chance, dass es sich in die gewünschte Richtung bewegt. Denke ich dagegen zu klein, bin ich nicht kreativ genug. Ich werde nicht über den Tellerrand schauen. Natürlich garantiert gross zu denken allein noch keine Umsetzung. Aber es macht Dinge möglich.

Über die Interviewpartnerin

Marie Griesmar, 30, ist Künstlerin und Materialspezialistin. Mit Dr. Ulrike Pfreundt und Hanna Kuhfuß hat Marie 2020 das ETH-Spinoff rrreefs gegründet.

Bei dem Non-Profit-Startup leitet Marie die Bereiche Produktentwicklung, Design, Marketing und Public Relations. Ihr Engagement und das ihrer Partnerinnen sowie einer engagierten Community hat rrreefs unter anderem einen Planet Hero Award, den goldenen Hochparterre Design Award sowie den SEIF Audience und Future Impact Trend Award beschert.