Insight

Startup Failures – was soll das Spektakel?

Warum scheitern manche Startups so spektakulär? Sind gehypte Startups anfälliger für Fails? Und was lässt sich aus berühmten Fail-Beispielen lernen? Wir werfen einen Blick auf zwei prominente und ziehen Lehren.
Ein skizziertes Diagramm der Wertentwicklung zeigt nach oben.

Machen wir einen kleinen Test: Wenn Du, lieber Leser bzw. liebe Leserin, zehn Sekunden Zeit zum Nachdenken über Startup-Stories bekämst – würde Dir eher ein grosser Erfolg einfallen oder ein spektakulärer Fail?

Noch bevor die Sekunden ablaufen, dürfte man sich vielleicht darüber wundern, dass uns überhaupt Failure-Stories einfallen. Dass wir schon oft von Startup-Stars gehört haben, die mit hellerem Glanz verglühen als sie aufgestiegen sind. Und dass sich daraus irgendwie der Eindruck verfestigt hat, dass Startups oft so spektakulär scheitern.

Hier das Wichtigste kurz und knapp.

Startups mit grossen Ideen lösen schnell einen Hype aus. Mitunter zum eigenen Nachteil: Zwar lockt der Hype Investoren an, weckt aber auch Erwartungen, zwingt zu immer ambitionierteren Leistungsversprechen und schafft absurden Erfolgsdruck. Das führt zu spektakulären Startup-Fails, die auf Titelseiten landen. In der Analyse des Scheiterns spielen häufig charismatische Führungsfiguren, ungesunde Governance-Strukturen und die Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen und Informationen eine Rolle. Wer hier von grossen Fails wie Theranos oder WeWork lernt, kann todbringende Fehler vermeiden.

Scheitern tatsächlich so viele Startups?

Tatsächlich ist der Eindruck, dass Startup Stories meistens Geschichten vom Scheitern sind, weit verbreitet. Das liegt aber nicht am hohen Realitätsgehalt dieser Annahme, sondern an der medialen Aufmerksamkeit, die insbesondere Failure Stories erhalten. Warum ist das so?

Der Grund dafür ist, dass Hype und Failure von Startups oft miteinander korrelieren. Das ist insbesondere bei Unternehmen der Fall, die mit weltverändernden Leistungsversprechen an den Start gehen und sich dabei entsprechend aufsehenerregend übernehmen. Das Muster ist dann erstaunlich oft gleich:

  • Das Startup erzeugt seinen eigenen Hype, der vom Umfeld aufgenommen und vergrössert wird
  • Mit wachsendem Hype steigen Investorenaufmerksamkeit und Mittelzufluss
  • Hohe Erwartungen zwingen das Startup zu aggressiven Wachstumsstrategien (die Risiken und Hype erhöhen)
  • Der Entwicklungsfortschritt hält nicht mit Erwartungen Schritt
  • Die Furcht, Vertrauen zu verlieren, beginnt, strategische Entscheidungen zu beeinflussen.
  • Selbstgesteckte Ziele werden nicht erreicht, der Abstand zwischen Anspruch und Realität wir immer grösser, und nachdem erst die Fassade bröckelt stürzt schliesslich das dahinterliegende Kartenhaus ein

Einseitiges Bild von Startup-Failures

Natürlich landen solche Geschichten auf Seite 1. Beim Ausschlachten zeigen sie sich weitaus saftiger als die Fälle, in denen eine Gründung tatsächlich dem Hype gerecht wird. Weil das aber ein sehr einseitiges Bild von Startups im medialen Zirkus malt, entstehen Klischees und Voreingenommenheit.

Das überlagert, was weitaus häufiger stattfindet: Kleinere Startups mit weniger gewagten Businessideen (das Gros der Startup-Welt) fahren eher auf Sicht und dadurch risikoärmer. Nur: Weil mit Wagnis und Risiko zwei der Hauptzutaten für einen guten Hype fehlen, passiert das meist unterhalb des Radars der Öffentlichkeit.

Was aber lässt sich aus dem Scheitern der Firmen lernen, die vom Radar erfasst werden? Das zu beantworten lohnt einen genaueren Blick auf zwei prominente Failure-Beispiele: Theranos und WeWork.

Startup-Failure Theranos: Fake it till you (don’t) make it

Theranos’ Gründerin Elizabeth Holmes trat an, um das Analysefeld der Bluttests zu revolutionieren. Ihr Versprechen: Tests, für die Patienten bisher röhrchenweise Blut abgeben mussten, bräuchten künftig nur noch einen Tropfen. Möglich würde das durch eine Analysegerät von Theranos.

Besonders beeindruckend erschien dabei, dass Ärzte das praktische Theranos Gerät selbst betreiben und teure Tests in zentralisierten Labors vermeiden könnten. Patienten wiederum bräuchten keine invasive Blutentnahmeprozedur mehr zu fürchten – der benötigte Bluttropfen bedinge lediglich einen Minipiecks in einen Finger.

Holmes Versprechen beeindruckte (und verführte) prominente Investoren. Rupert Murdoch machte 100 Millionen Dollar locker. Die Walmart-Eigner-Familie Walton gab sogar 150 Millionen. Und Ex-US-Aussenminister Henry Kissinger nahm im Aufsichtsrat Platz. Dieser Zuspruch, verbunden mit immer neuen grossartigen Leistungsversprechen, liess den Theranos Unternehmenswert zwischenzeitlich auf rund 9 Mrd. Dollar anschwellen.

2016 wurde dann aber öffentlich, was unter Holmes‘ diktatorischer Unternehmensführung jahrelang verschwiegen worden war: Die Theranos Technologie funktionierte nicht. Die positiven Analyseergebnisse, die Theranos präsentierte, stammten von einem Konkurrenzgerät. Als sich die Möglichkeit ergab, mit der Supermarktkette Walgreens zusammenzuarbeiten, um schnelle Routinetests mit dem Theranos-Gerät durchzuführen, hatte Theranos Geräte ins Rennen geschickt, die nachweislich unzuverlässige Ergebnisse lieferten.

Ein Haufen Blutröhrchen, was dank Theranos der Vergangenheit angehören sollte
Blutröhrchen? Dank Theranos eine Sache der Vergangenheit. Oder doch nicht?

Warum das so lange unentdeckt blieb?

  • Weil sich Leistungsversprechen, Investorenengagement und Unternehmenswert gegenseitig pushten. Ohne Reality-Check, dafür aber nach dem Motto „Wenn alles zueinanderpasst, muss es auch wahr sein“.
  • Weil bei Theranos das Mantra „Fake it till you make it“ perfektioniert worden war. Inklusive gefälschten Zuverlässigkeitstests. Unter einem unwissenden Aufsichtsrat, der seine Prüfungsfunktionen nicht wahrnahm.
  • Weil Holmes in Auftreten und Habitus gleich zwei Sehnsüchte bediente: die nach einem neuen Steve Jobs und die nach einer Jeanne d’Arc, die dank ihrer unbändigen Energie und Visionskraft jedem männlichen Zweifel überlegen war.
  • Weil Holmes wahlweise entweder ihr Charisma oder ihre Ruchlosigkeit einsetzte, um Zweifel zu zerstreuen und Zweifler zu beseitigen.

Am Ende war ein vielversprechendes Unternehmen durch übertriebene Zusagen und untertriebene Vorsicht aller Beteiligten ruiniert.

Startup-Failure WeWork: Wenn das CEO-Charisma zum Hindernis wird

WeWork versprach eine innovative Herangehensweise im Feld der Coworking Spaces: Büroflächen, runtergebrochen bis zu Einzelschreibtischen, konnten von WeWork-Mitgliedern ebenso kurzfristig gemietet wie wieder gekündigt werden – und das global. Dabei sollte die Arbeitsumgebung einer Wohnumgebung näherkommen und dadurch ein neues Arbeitsgefühl ermöglichen. WeWork selbst war Hauptmieter der Immobilien, deren Räumlichkeiten es seinen Mitgliedern anbot.

WeWork CEO Adam Neuman vermarktete sein Unternehmen wie eine Software-Firma. Investoren und Kunden stellte er es als "physisches soziales Netzwerk" vor. Mit seinem exaltierten und extravaganten Auftreten beeindruckte er Redakteure, die ihn auf Titelseiten hievten. Und er gewann die Liebe von SoftBank, dessen finanzielle Investments zunächst unerschöpflich schienen und sich bis heute auf über 8 Mrd. Dollar summieren.

Das allein galt vielen als ausreichender Beweis für den Erfolg von WeWork. Dass dabei aber das absurde Unternehmenswachstum (und seine ebenso absurd steigenden Kosten) nicht mit einem adäquaten Gewinnwachstum einhergingen, brach WeWork fast das Genick. 2018 führte es dazu, dass ein angepeilter Börsengang sensationell scheiterte. Die Prüfung der eingereichten Finanzunterlagen offenbarte ein angeschlagenes Unternehmen. Der erwartete IPO-Wert lag weit über dem geschätzten Wert des Unternehmens, und der Börsengang musste zurückgezogen werden. SoftBank wurde vom Investor mit Renditehoffnung zum Retter mit Verlustangst.

Eine WeWork-Tasse mit der Aufschrift "Do what you love".
"Do what you love", wenn das, was man liebt, nicht Milliarden kostet.

Zum massgeblichen Problem führte, was einst zum Erfolg beigetragen hatte: das Charisma von Adam Neumann. Es hatte zunächst die Finanzierung des Unternehmens gesichert, Schwierigkeiten überstrahlt und allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz (zusammen mit dem SoftBank-Geld) als Treibstoff einer Wachstumsstrategie genügt. Da letztere aber heillos überambitioniert war und durch Skandale um Neuman torpediert wurde, nahm WeWork substanziell Schaden. Sein Potenzial hat das Unternehmen darum bis heute nicht realisieren können.

Die Analyse: Was Startup Failures beeinflussen (und verhindern) kann

Die Beispiele von Theranos und WeWork arbeiten einige zentrale Faktoren für den Misserfolg von Startups heraus:

  • Charismatische CEOs
  • Governance-Strukturen
  • Zentralisierte Organisation und Informationseigentümerschaft

Sich ihrer Gefahren bewusst zu sein, kann im Zweifelsfall den Unterschied machen.

Charismatische CEOs

Charismatische CEOs sind oft Dreh- und Angelpunkte für Startup-Entwicklungen. Herausragende Unternehmerpersönlichkeiten stehen unbestreitbar oft im Zusammenhang mit extremen Ereignissen und Ergebnissen bei Startups. Dank ihres Charismas können sie die Vision einer Gründung vermitteln und als Führungskräfte vorangehen und mitziehen. Sie gewinnen Investoren, können Stakeholder begeistern und erreichen dabei oft mehr als möglich scheint.

Charisma sollte aber nie für Geschäftssinn gehalten werden. Beides sind unterschiedliche Charaktereigenschaften, die bezogen auf das Wirken eines CEO je nach Wachstumsphase eines Startups unterschiedlich wichtig werden. Sie zu verwechseln, kann darum tödlich sein.

Und: Das Charisma eines CEO darf weder ihm bzw. ihr noch dem Unternehmen im Wege stehen. Verhindert es, Vorschläge zu berücksichtigen oder eine Vision (zum Beispiel wegen eines sich verändernden Geschäftsumfelds) anzupassen, drohen Fehlentscheidungen.

Im Idealfall wirken also die positiven Seiten des charismatischen CEO, und negative Aspekte werden (bedarfsweise durch externes Einwirken) gemildert.

Governance-Strukturen

Steuerungs- und Regelungssysteme in Startups sollten von Anfang an hohe Aufmerksamkeit bekommen. So wie sich das Unternehmen entwickelt ist auch das Gleichgewicht zwischen Entscheidungsbefugnis und Verantwortlichkeit regelmässig zu prüfen und bedarfsweise zu verfeinern. Entscheidend dabei: ein klares Verständnis ihrer Rollen bei CEO, Vorständen und Investoren.

Zentralisierte Organisation und Informationseigentümerschaft

Die Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen und Informationen geschieht oft in den wilden ersten Phasen eines Startups. Das hat seine Berechtigung, weil so die Agilität in einer einfachen Organisation verbessert wird. Gleichzeitig beschränkt es aber die Fähigkeit, evidenzbasierte Entscheidungen zu erarbeiten, weil Informationen nicht dort landen, wo sie gebraucht werden.

Ein weiteres Problem: Mangelnde Transparenz ermöglicht Entscheidungsträger, ihre Verantwortlichkeiten je nach Bedarf grosszügig oder minimalistisch zu interpretieren. Werden dann auch noch Personen mit Problembewusstsein und Lösungskompetenz bei Entscheidungsprozessen ignoriert, ist das eine hocheffiziente Methode, ein Scheitern vorzubereiten.

Leitplanken entlang einer Strasse.
Leitplanken sind dazu da, Katastrophen zu verhindern: Sowohl auf Strassen als auch in Startups.

Die Hudson Goodman Perspektive

Kann man Erfolg als die Abwesenheit von Misserfolg bezeichnen? Wohl kaum. Dennoch ist es für den Erfolg von Startups entscheidend, typische Failure-Zutaten zu vermeiden. Welche dazugehören, zeigen unsere beiden Failure-Beispiele und die Analyse (ohne einen Ausschliesslichkeitsanspruch zu formulieren). Faktoren wie Governance, Informationszugang und Transparenz von Anfang an einen hohen Stellenwert einzuräumen, ist nicht weniger als pure Existenzsicherung. Es kann aber durchaus auch mehr als das sein. Denn damit entsteht überhaupt erst das Fundament, das eine grosse Idee oder eine grosse Vision braucht. Auf den Punkt gebracht: Ohne ein solches Fundament geht langfristig nichts. Auch wenn kurzfristig ein berauschendes Feuerwerk möglich ist.