Wer für einem Smalltalk nach einer immer-gültigen Bemerkung zu sämtlichen Themen der Business-Welt sucht, kann getrost diese hier nehmen: „Das muss man immer im Kontext von VUCA sehen…“.
Zu eben jener Bemerkung kann übrigens auch jeder greifen, der sich oberflächlicher Trendhascherei verdächtig machen will. Denn VUCA unspezifiziert als Antwort auf und Entschuldigung für (fast) alles anzuführen, ist seit einigen Jahren schwer in Mode.
VUCA (auch VUKA) beschreibt im Business-Kontext die Unwägbarkeiten und schwer zu kalkulierenden Herausforderungen, die unternehmerisches Handeln beeinflussen. In der Praxis wird das Konzept genutzt, um auf die Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität der Unternehmensumwelt hinzuweisen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese heute nicht weniger oder mehr VUCA ist als sie schon immer war. Ebenso gilt: VUCA sind nicht nur Umwelten, sondern meist auch Organisationen selbst. Eines der grössten Probleme beim Umgang mit VUCA ist die uneinheitliche Verwendung und Gewichtung der vier einzelnen VUCA-Begriffe.
Du möchtest fundiert mitreden können? Dann solltest Du nicht nur wissen, was VUCA ist – sondern auch, was nicht (z. B. neu).
VUCA – ein spätgeborenes Kind des Kalten Krieges
Das Akronym VUCA (auch: VUKA) steht für
- Volatility / Volatilität: Märkte, Organisationen und Menschen sind jederzeit im Wandel, sodass sie je nach Situation unterschiedlich eingeschätzt und beschrieben werden können.
- Uncertainty / Ungewissheit: Für die Art und Richtung, in die sich Situationen entfalten können, fehlen Informationen. Ihr Effekt ist also kaum vorhersagbar.
- Complexity / Komplexität: Entwicklungen ergeben sich an vielen Orten und auf vielen Ebenen gleichzeitig. Kausalitäten sind schwer zu ermitteln.
- Ambiguity / Ambiguität: Vorhandene Information und Situationen sind uneindeutig und bergen Potenzial für Missverständnisse und Fehlentscheidungen.
VUCA ist ein spätgeborenes Kind des Kalten Krieges. Erstmals tauchte es 1985 im Managementbuch Leaders: The Strategies for Taking von Charge Warren Bennis and Burt Nanus auf. Bedeutung erlangte es aber erst einige Jahre später, als es vom American War College aufgegriffen wurde. VUCA sollte die unwägbaren Verhältnisse beschreiben, die nach dem Ende der „stabilen“ und relativ klar auszurechnenden Ordnung des Kalten Krieges herrschten und auf die Militärstrategen neue Antworten finden mussten.
In den Nullerjahren wurde VUCA dann zur Zustandserklärung für die unendliche Dynamik der Digitalisierung. Findige Unternehmensberatungen nahmen das (und nehmen es bis heute) als Startrampe für ihre Sales-Argumentation und Verargumentierung ihrer Wichtigkeit.
VUCA war die Welt schon immer
Bei aller VUCA-ness der Welt: VUCA war sie schon immer. Den Beweis dafür liefern Myriaden von Tools, die zur Navigation durch wilde Businesswelten schon lange existieren. Standardisierte Methoden wie der Eisenhower-Matrix oder der Customer Journey stehen dabei bisweilen auch wildwüchsige Eigenschöpfungen gegenüber, die sich gern „Blueprints“ oder „Action Map“ nennen. Die Qualität von Letzteren? Im besten Falle ungeprüft…
Entsprechend attestiert auch der Wirtschaftsprofessor Roger Martin (2022) dem VUCA-Narrativ eher Meme-Charakter: überall präsent mit der (falschen) Suggestion, dass die Dinge heute herausfordernder seien als früher. Andere verweisen darauf, dass auch die einzelnen VUCA-Begriffe längst nichts Neues sein, sondern schon länger existieren. Nutzbar im Sinne einer neuen Erkenntnis würden sie (z. B. im Innovations-Kontext) nur in Kombination und durch eine sinnvolle Beschreibung ihrer Konsequenzen.
Anders gesagt: Als allgemeine Beschreibung einer herausfordernden Welt bringen VUCA-Konzepte nichts Nützliches auf den Tisch. Real bedeutsam werden sie erst durch konkrete Startpunkte, detaillierte Problem-Benennung und die Eingrenzung kritischer Geschäftsbereiche. Das allerdings macht aus dem sexy-Image des Akronyms das eines Arbeitstiers – was nicht jedem gefällt.
Die VUCA-Begrifflichkeiten: VUCA in sich selbst
Wenn das nun alles zunehmend komplex klingt, kommt das nicht von ungefähr. Komplexität ist bei VUCA nämlich sozusagen system-immanent – durch das sogenannte “Komplexitätsdilemma”. Es besagt: Je mehr man versucht, mit Methoden (wie VUCA) Komplexität einzudämmen, desto mehr Komplexität entsteht.
Das Dumme daran: Plötzlich scheint „Komplexität“ nicht mehr nur einer von vier VUCA-Bestandteilen, sondern eine prägende Grösse für alle. Anwender, die das in Ruhe verdauen, könnten leicht auf die Idee kommen, dass die vier unterschiedlichen VUCA-Teilbegriffe im Grunde immer das gleiche meinen. Und das macht aus Anwendern vielleicht Ablehner.
Ohnehin ist das mit den Einzelbegriffen so eine Sache. In der Praxis werden sie zwar meist noch definitorisch auseinandergehalten. In ihrer Gewichtung jedoch wandern sie als gleichwertige Rezeptbestandteile in den VUCA-Kochtopf. Dass „Volatilität“ dabei längst nicht die gleiche Schwere und Konsequenz für wirtschaftenden Organisationen hat wie „Unsicherheit“ – geschenkt.
Auch die Mehrdeutigkeit der Begriffe ist ein Problem. Beispielhaft sei hier nochmals auf die Volatilität verwiesen. Sie kann finanztechnisch ausgelegt werden – aber was ist mit dem Dutzend anderen Richtungen, die es noch gibt?
Scheitern an VUCA: leider menschlich
Wer sich mit VUCA beschäftigt, kommt zwangsläufig schnell zu einer weiteren Frage: Ist aus Organisationssicht nur die Aussenwelt VUCA oder gar auch eine Organisation selbst? Wenn letzteres der Fall ist (was Experten immer wieder betonen), hat das keine geringen Auswirkungen. Consultants (und ihre Kunden) kommen dann mit einem reinen “Wir gegen den Rest der Welt”-Blickwinkel nicht mehr weiter.
Das bedeutet aber auch, dass ein anderer Aspekt erhöhte Aufmerksamkeit bekommen muss. Wenn eine Organisation gegen VUCA-Aspekte bestehen will, dann muss sie unter Umständen auch gegen sich selbst bestehen. Denn auch das ist im Kontext von VUCA zu betonen: Das VUCA-Narrativ erklärt nicht nur die Welt, sondern auch das manchmal unglückliche Handeln der Akteure in ihr. Scheitern an VUCA ist dann leider vor allem eines – menschlich.
Die HudsonGoodman Perspektive auf VUCA
Angesichts der aufgezeigten Einordnungen durch Experten scheint VUCA vor allem eins zu sein: schon immer da gewesen, dabei aber dennoch weit davon entfernt, als Konzept vollständig durchdrungen zu sein.
Im besten Fall ist es die Aufforderung an Entscheider:innen, vor Unsicherheiten nicht zu kapitulieren, sondern einen Weg für den Umgang mit ihnen zu finden. Auch das ist allerdings nicht neu.
Denn seit jeher kann man Unternehmertum als das wirtschaftlich rentable Bändigen von Chaos und Innovationsstreben als das Suchen nach den geeignetsten Wegen dafür verstehen. VUCA unterstreicht, was dabei zu beachten und zu meistern ist. Und damit ist es mehr als nur eine Erwähnung in einem Smalltalk-Gespräch wert.
Hier geht es zu Teil 2 – Die Relevanz von VUCA in der Praxis
Hier geht es zu Teil 3 – Wie das "V" und das "U" in VUCA Innovationsvorhaben beeinflussen
Hier geht es zu Teil 4 – Wie Komplexität und Ambiguität Innovationsvorhaben beeinflussen