Insight

Alles VUCA – oder doch nicht? Teil 3: Wie das VU in VUCA Innovationsvorhaben beeinflusst

Wie wirkt VUCA auf Innovationsvorhaben? In Teil 3 unserer VUCA-Serie zeigen wir es – und zerschlagen das unförmige Konstrukt dafür in vier handlichere Einzelteile. Zuerst im Fokus: Volatilität und Ungewissheit.
header 3 ein paar wellen die gegen einen felsen krachen

VUCA lädt zum VUCA-Bashing ein. Das Hippness-Potenzial, die Schwächen des Konzepts im Bereich Empirie, die vermeintliche Flachheit der „Alles verändert sich ständig“-Aussagen ohne ableitbare Konsequenz – all das sind low-hanging fruits für Kritiker. Schaut man aber aus Innovatorensicht drauf, kann man statt einer kritisch-ablehnenden Haltung auch eine kritisch-prüfende einnehmen. Umsichtiges Innovationsmanagement kann sich ohnehin nichts anderes leisten: Was eine Idee, ihre Umsetzung und ihre Erfolgsaussichten auch nur im Geringsten beeinflusst, sollte vom Radar erfasst und bewertet werden. Dabei helfen die Betrachtung der VUCA-Bestandteile Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Wie gut oder wie schlecht sie das tun, wollen wir hier einordnen.

Volatilität im VUCA-Kontext: Auch menschliches Verhalten schwankt

Keine Zeit für den ganzen Artikel? Kein Problem, hier das Wichtigste kurz und knapp.

Zerlegt in Einzelteile zeigt VUCA, wie gross sein Einfluss auf Innovationsvorhaben sein kann. Volatilität im Bezug auf KPI? Nicht kriegsentscheidend. Soziale Volatilität in Teams (Vorurteile und wild differierende Einschätzungen untereinander) aber verdient Aufmerksamkeit, weil sie Kraft und Zusammenhalt von Teams beeinflussen kann. Der VUCA-Faktor Ungewissheit ist eindeutiger: Verunsichern ökonomische Unwägbarkeiten Zielgruppen der Innovation, empfiehlt sich beispielsweise, ein Markteintrittsdatum zu prüfen. Gleichzeitig können ungewisse Zeiten und Unsicherheit aber auch selbst Innovationen anstossen.

Volatilität im VUCA-Kontext beschreibt zunächst, dass KPI für eine im Markt befindliche (also lancierte) Innovation in grösster Gegensätzlichkeit schwanken können. Beispielhaft lässt sich das beim Absatz bzw. der Nachfrage saisonabhängiger Produkte und Dienstleistungen betrachten. Die konkrete Ausprägung von Schwankungsbreiten ist hier meist gut quantifizierbar.

Damit unterscheidet sich Volatilität substanziell vom VUCA-Faktor „Ungewissheit“: Letzterer stellt lediglich die Eventualität einer Schwankung in den Raum, definiert aber nicht ihre Ausprägung.

Ein Blitz einem lila gefärbten Himmel

Volatilität ist gleichwohl aber auch im menschlichen Verhalten möglich. Diese Facette findet erst seit kurzem Eingang in die Anwendung von VUCA – sie zu integrieren war aber längst überfällig. Ein mustergültiges Volatilitäts-Phänomen ist Stereotypisierung: Ein und dieselbe Person kann bei verschiedenen Menschen in komplett unterschiedlichen Schubladen landen. So könnten etwa Mitglieder multikultureller Innovations-Teams einander danach sortieren, welche Erfahrungen mit ihrer Kultur, ihrem Geschlecht, ihrem Bildungshintergrund oder ihrer Nationalität gemacht wurden – lange bevor intellektuelle und fachliche Kapazitäten eine Rolle spielen. Die gute Nachricht: Organisationen können solchen sozialen Kategorisierungen durch eine gezielte Identitätsbildung entgegenwirken.

Best und Worst Case Szenarien machen Volatilitäten fassbarer

Welche Relevanz Volatilität nun für ein Innovationsvorhaben hat, ist individuell zu prüfen. Zeichnet sich ab, dass Marktumfeld, Kundenverhalten, Rohstoffverfügbarkeit oder Ähnliches grösseren Schwankungen unterworfen sind, sollte deren Auswirkung genauer untersucht werden, zum Beispiel im Hinblick auf Fragen wie:

  • Wie früh oder spät droht der Markteintritt der Konkurrenz?
  • Wie stark verändert sich die Nachfrage saisonbedingt?
  • Was ist das höchste und geringste anzunehmende Potenzial von Lieferketten?
  • Wie abhängig ist das Vorhaben von der Kollaborationsfähigkeit des Innovationsteams?

Das erfordert unter Umständen die Fertigung eines Prototypen und sein evidenzbasiertes Testing in möglichst kleinen Iterationen. Was dabei zu beachten ist, erklären wir hier.

Im Bereich sozialer Dynamik wiederum sind Vorsicht und Fingerspitzengefühl angesagt. Klar: Die Innovationsfähigkeit von Organisationen hängt entscheidend von dieser Dynamik ab, und je offener und ehrlicher Teams miteinander umgehen und arbeiten können, desto besser. Teams zu dieser Erkenntnis zu führen, erfordert aber, unterschiedliche kulturelle und soziale Hintergründe zu berücksichtigen. Ein undifferenziertes „Ab heute ziehen wir alle blank, und wer die Wahrheit sagt, hat immer Recht“ stösst Menschen eher vor den Kopf als sie an der Hand zu nehmen.  

Deswegen braucht es Instrumente, die das starke Schwankungspotenzial menschlicher Beziehungen feinfühliger steuern können. Hier bieten sich zum Beispiel das Schaffen von psychologischen „Safe Spaces“, informeller Austausch oder Coaching auf Augenhöhe an. 

Volatilität ist kein Innovationskiller

Volatilität hat also Relevanz – aber kann sie auch ein Innovationskiller werden? Die Risiken dafür dürften eher gering sein. Wahrscheinlich ist, dass die Vernachlässigung von Volatilität in der Innovations-Praxis keinen Tag-Nacht-Unterschied macht. Zumindest im Hinterkopf aber sollten die sozialen Komponenten von Volatilität abgespeichert werden. Mitarbeitender auf die Folgen sozialer Volatilität aufmerksam zu machen und eine offenere Kultur aufzubauen, kann zu grösserem Respekt, stärkerem Vertrauen und besserer Zusammenarbeit führen. Eventuell ein softer Vorteil gegen „volatilitätsblinden“ Firmen.

Eine Sammlung an Ritterrüstungen
Erfordert VUCA für Unternehmen, sich gegen eine Welt zu rüsten, die sie zu dem gemacht hat, was sie sind?

Ungewissheit im VUCA-Kontext: der fundamentale Störfaktor

Der Faktor „Ungewissheit“ steht bei VUCA für das Fehlen von Informationen – die Urangst von Entscheidern, die nicht impulsiv und aus dem Bauch heraus handeln (also dem Gros). Ereignisse treten vermeintlich unvorhersehbar ein, was dazu zwingt, mit einem weder mess- noch schätzbares Restrisiko umzugehen.

Wie stark solch ein Risiko unternehmerisches Handeln – und damit auch innovatorisches – prägen kann, deutet der Begriff „fundamental uncertainty“ (auch: Knightsche Ungewissheit) an. Er fällt im Zusammenhang mit VUCA und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten immer wieder und verdient daher einen kleinen Exkurs.

Der „Erfinder“ des Begriffs, der Ökonom Frank Knight, beschrieb damit die lähmende Unsicherheit, die Menschen erfasst, wenn sie für das Eintreten oder den Ausgang von Ereignissen keine Wahrscheinlichkeiten ermitteln können. Sozusagen Murphys Law als Grundlage einer Handlungsabwägung. Entscheider werden dabei gerne mal eine deutliche Spur vorsichtiger. Nicht die beste Basis für Innovationsvorhaben, bei denen man sich doch eigentlich eher aus der Deckung wagen muss, als in ihr zu verharren.

Aber nur auf den ersten Blick.

Ungewissheit kann Innovationen ausbremsen, aber auch fördern

Das Überraschende: Betrachtet man Verharren als vorübergehendes Abbremsen des Innovationsprozess, kann das im Rahmen von Innovationsvorhaben tatsächlich Vorteile bringen – oder zumindest Nachteile vermeiden. Es wird nämlich zur situativ angepassten Reaktion auf vorübergehend schwindende Erfolgschancen.

Konsument:innen haben naturgemäss eine hohe Aversion gegenüber fundamentalen Ungewissheiten. Sie versuchen, sich dagegen abzusichern, indem sie sparen und Investitionen aufschieben. Derzeit braucht man nicht lange nach Konsumenten-Indizes zu suchen, die genau das beweisen. Die Furcht vor einer Konjunkturschwäche und die Verunsicherung durch den Ukraine-Krieg führt etwa in der Schweiz gerade zu einer steigenden Zurückhaltung bei grösseren Investitionen.

Wer dann vor einem solchen oder ähnlichen Hintergrund mit einer Innovation den Markteintritt sucht, nimmt bewusst vom Start weg schlechte Ausgangsbedingungen in Kauf. Anders gesagt: Bei bekannter Konsum-Unlust ist das Aufschieben des Markteintritts unter Umständen sinnvoll.

Gleichzeitig kann in Zeiten einer Rezession aber auch gerade wegen der Unsicherheit die Stunde mancher Innovationen schlagen. Das gilt zum Beispiel für solche, die die Unsicherheit im Sinne eines Hilfeangebotes adressieren. Man denke dabei etwa an Innovationen, die Sparmassnahmen effektiver machen, oder an Anwendungen, die beim Umgang mit Ängsten, bei innerem Ausgleich und bei Selbstmanagement helfen.

Ungewissheit als Makrostimmung kann alles kippen 

Unterm Strich kann Ungewissheit selbst evidenzbasierten (also durch sauber erhobene Daten abgesicherten) Innovationsvorhaben Einhalt gebieten. Selbst valide Kaufsignale in Richtung einer spezifischen neuen Idee können an Aussagewert verlieren, wenn sie eine überlagernde Makrostimmung ins Negative kippt. So gehört Ungewissheit unzweifelhaft zu den VUCA-Bestandteilen, die erhöhte Aufmerksamkeit verdienen: Eine nicht ausreichende Berücksichtigung von Indikatoren für eine aufkommende Unsicherheit bei Käufergruppen würde im Zweifelsfall teuer bezahlt.

Im kommenden Teil 4 unserer VUCA-Serie rücken die beiden restlichen Faktoren „Komplexität“ und „Ambiguität“ in den Fokus.

Interesse an mehr zum Thema VUCA?