Geopolitik, Milliardäre, Klimawandel: Ein halbes Jahrhundert nach der Mondlandung steigt das Interesse am Weltraum wieder. Während private Investoren und Weltraumtouristen ein neues „Rennen“ in den Weltraum anfeuern, hat die Raumfahrt allerdings angesichts fundamentaler gesellschaftlicher Herausforderungen auf der Erde aktuell keinen leichten Stand.
In Teil 2 unseres Interviews mit Eleonore Poli sprechen wir mit der Analog-Astronautin darüber, wie die Raumfahrt den Fortschritt früherer Jahre aktuell gerade einbüsst, was wir als Menschen aus der Weltraumforschung dennoch nach wie vor lernen können und was es bedeutet, Astronaut werden zu wollen.
HudsonGoodman: Welche Erkenntnisse hat uns das sogenannte Weltraum-Wettrennen zwischen den Sechziger- und Achtzigerjahren gebracht?
Eleonore Poli: Ich fürchte, im Moment hat sich die Antwort auf diese Frage zum Negativen verändert. Vor ein, zweieinhalb Jahren hätte ich den unglaublichen Fortschritt erwähnt, den die Technologie gemacht hat. In den Sechzigerjahren sorgte das Mondrennen in kurzer Zeit für einen unglaublichen technologischen Fortschritt.
Die Spannungen zwischen der Sowjetunion und den USA waren da ein massiver Beschleuniger. Denke nur an technologische Innovationen wie Satellitenfernsehen oder Kohlenmonoxid-Melder, aber auch an gefriergetrocknete Lebensmittel und moderne Cochlear-Implantate – das alles wurde in dieser Zeit entwickelt. Zusätzlich führte der grosse Aufwand im Rennen um den ersten Platz im Weltraum dazu, dass bereits bestehende Technologien auf vielerlei Arten verbessert wurden.
In den Siebziger- und Achtzigerjahren liess die Spannung trotz des weiterhin herrschenden Kalten Krieges nach, und die Apollo-Sojus-Missionen begannen. Nationen, die auf der Erde Feinde waren, arbeiteten im Namen der Wissenschaft im All zusammen.
Das wunderbarste Beispiel für wissenschaftliche Kooperation, das man sich vorstellen kann, und auch eines für den Sieg der Wissenschaft über die Brutalität! Das macht mich immer sehr emotional. Der Weltraum war diese Insel, auf der die Wissenschaft mehr zählte als Krieg. Die Kollaborationen auf der Raumstation Mir und später auf der Internationalen Raumstation (ISS) zeigten das mit grosser Kraft.
Abseits bisheriger Missionen im Weltraum gibt es ja die künftigen, welche durch analoge Missionen vorbereitet werden. Was können wir aus diesen analogen Missionen – also Deinem Fachgebiet – lernen?
So vieles! Ich will aber zunächst nochmal klarstellen: Nicht jeder Analog-Astronaut fliegt ins All, und, was noch wichtiger ist, nicht jeder von uns will dorthin. Als Probanden für Weltraummissionen tragen Analog-Astronauten sozusagen als Versuchskaninchen zum Wohl der Menschheit bei. Und wir geniessen es, das zu sein.
Analoge Missionen bringen genauso wie Weltraummissionen enorme Erkenntnisse für die Wissenschaft. Das zahlt sich zum Beispiel bei der Erforschung des Klimawandels aus. Der wird hauptsächlich aus dem Weltraum überwacht, inklusive der Daten zu Katastrophen, die mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen. Stürme, Temperaturschwankungen, CO2-Emissionen, um nur einige zu nennen. Entscheidend ist dabei auch die Aufmerksamkeit, die man mit Satellitenfotos erzeugen kann.
Und was lässt sich aus Deiner Arbeit über uns als Menschen lernen?
Als Analog-Astronauten erforschen wir, wie wir mit Isolation und engen Zeitplänen in extremen Umgebungen umgehen. Wir lernen, in einem geschlossenen Kreislauf mit weniger Ressourcen zu leben. Dein Verhalten wird nachhaltiger, weil du nur das Nötigste verbrauchst.
Was sind Schwerpunkte der Analog-Missionen?
Für künftige Siedlungen auf dem Mond oder Mars müssen wir Habitate passend zu deren extremen Umweltsituationen entwickeln. Ihre autonomen Lebenserhaltungssystemen umfassen eine Reihe mechanischer Geräte, die es Menschen ermöglichen, in einer lebensfeindlichen Umgebung wie im Weltraum oder unter Wasser zu überleben.
In unserem Fall umfasst das Anlagen, die Astronauten mit Luft, Wasser und Nährstoffen versorgen. Weitere Systeme erhalten die korrekte Körpertemperatur aufrecht sowie den richtigen Umgebungsdruck, ermöglichen die Entsorgung von Körperabfällen und schützen den Körper konstant vor Strahlung und Mikrometeoriten.
Analoge Astronauten erforschen aber nicht nur das Verhalten in extremen Umgebungen, sondern auch die Technologie, die erforderlich ist, um dort zu bestehen. Wenn wir zum Beispiel lernen, wie man Nahrung im Weltraum anbaut, können wir das ab da an überall. Gleiches gilt zum Beispiel auch für die Anwendung von Medikamenten oder Kommunikationstools und Engineering.
Da liegt es nahe, dass Menschen Deinen Beruf vielleicht fehlinterpretieren und beim Begriff „Analog-Astronautin“ sofort und nur an „Weltraum“ denken. Wie gehst Du damit um?
Für mich ist das absolut kein Problem. Als Analog-Astronautin erinnere ich dann nur daran, dass ich keine echte Astronautin bin – zumindest für jetzt. Manchmal verstehen die Leute nicht, was Astronaut zu werden tatsächlich bedeutet und erfordert.
Der Unterschied zu meinem Beruf kann dann für sie verwirrend sein. Astronauten auszubilden ist weitaus aufwändiger. Das betrifft einerseits den Kostenaspekt, gleichzeitig aber auch die Intensität, mit der Astronauten auf die Gefahren tatsächlicher Missionen im All vorbereitet werden.
Ein Beispiel: Die medizinischen Tests für das Training auf der Erde dauern einige Stunden – die für den Weltraum dagegen einige Wochen. Im Ernst, wenn Du jemals einen Rund-um-Medizin-Check haben willst, bewirb Dich einfach für eine Astronauten-Ausbildung (lacht)!
Wie gut stünden da die Chancen?
Der ESA (European Space Agency) liegen derzeit rund 22.000 Bewerbungen vor – für ein Programm, das vielleicht 6 Astronauten aufnimmt. Das gibt eine Vorstellung davon, wie selektiv der Prozess ist. Ich meine: Welcher andere Job hat dieses Verhältnis? Leute wie ich, die echte Astronauten werden wollen, wissen nicht nur, was für eine Ehre es ist, für diese Ausbildung ausgewählt zu werden, sondern haben auch eine Vorstellung davon, was konkret erwartet wird.
Dennoch und trotz sechs verschiedener Auswahlschritte gibt es keine Garantie dafür, dass du nicht nach 2 oder 3 Jahren Training rausfliegst, weil etwas unentdeckt in deinem Körper schlummerte oder sich ungünstig verändert hat. Und das Training ist hart: anstrengende Simulationen, Russisch lernen, kognitive Tests, die dich fertigmachen, Überleben unter Eisbären…Wenn uns Menschen mit Astronauten verwechseln, ist es also für uns ganz nett, für Astronauten aber vielleicht wie eine Beleidigung (lacht).
Was macht dann den analogen Teil des Trainings aus?
Astronauten starten mit einem analogen Training, das alles andere als einfach ist. Um beispielsweise die Schwerelosigkeit zu simulieren, gibt es ein Replik der ISS in einem massiven Pool. Hier beginnt, was wir analoge Arbeit nennen: Man simuliert die Bedingungen im Weltraum und lernt, wie man Raumanzüge trägt und auf der gemeinsamen Plattform mit der gleichen Ausrüstung wie alle anderen bestimmte Aufgaben erledigt.
Im Allgemeinen simulieren Astronauten natürlich nicht die gesamte Weltraummission, sondern Phasen davon. Ein wichtiger Teil des analogen Trainings ist beispielsweise der Prozess des Andockens, also die Verbindung von zwei separaten, frei fliegenden Raumfahrzeugen. Da motiviert es ungemein, wenn man bedenkt, dass einige der aktuell an Weltraummissionen beteiligten Astronauten vorher tatsächlich Analog-Astronauten waren.
Du promovierst derzeit zu Werkstoffen und Metallurgie. Wie bringst Du das ausserordentliche Grosse und Ferne der Astronautenwelt mit dem ausserordentlichen Kleinen der Materialwissenschaft zusammen?
Materialwissenschaft spielt überall eine Rolle – von den Raumanzügen bis zu den Sonnenkollektoren, die Astronauten verwenden. Diese Wissenschaft auf molekularer oder sogar atomarer Ebene zu verstehen, um zu sehen, wie sie sich auf die Weltraumforschung auswirkt, gibt mir den Kick. (lacht) Etwas von der Mikroebene bis zur Makroebene zu verstehen ist faszinierend. Genau so arbeitet ja die Materialwissenschaft: Man geht vom Kleinen zum Grossen, lernt, was nötig ist, um das zu tun und versteht dann auch Wechselwirkungen. Du hast damit sozusagen alle Teile des Puzzles.
Verändert das den Blick auf die Dinge, die Dich umgeben?
Die meisten Menschen wissen gar nicht, woraus die Dinge um sie herum bestehen und welchen Aufwand es macht, sie zusammenzubauen. Wenn ich aber zum Beispiel Raumanzüge anschaue, weiss ich genau, wie ihre verschiedenen Schichten aufgebaut und verbunden sind, einfach, weil ich weiss, wie sich Materialien und Metalle verhalten.
Das hilft auch bei grösseren Projekten. Ich habe beispielsweise mal in einem Labor gearbeitet, das Materialien für den Bau von Brücken testete. Dort wurden Aufgaben oft eher Materialwissenschaftlern als Bauingenieuren zugewiesen. Die Welt erschliesst sich in der Materialwissenschaft irgendwann so, als hätte man kleine Erklärungskärtchen. Das kann in der Tat manchmal ermüdend sein, aber für jemanden, der so neugierig ist wie ich, ist es auch ein Geschenk.
Uns treibt der Grundsatz "Make no little plans". Was bedeutet das für Dich?
“Make no little plans” passt für mich perfekt zu der Aussage "Shoot for the Moon, you’ll land in the stars if you miss.” Kleine Träume haben noch nie zu etwas Grossem geführt. Um etwas zu bekommen, dass es wert ist, zu haben, musst du gross träumen und hart arbeiten. Nichts, was es wert ist im Leben zu haben, ist einfach zu erreichen. Und auch wenn du nur mit kleinen Schritten vorankommst, sollte das Ziel, das du dir setzt, gross sein. Letztlich geht es um Hoffnung.
Eleonore Poli, 26, ist Analog-Astronautin und promoviert aktuell an der University of Cambridge in Materialwissenschaft und Metallurgie. 2020 war sie Kommandeurin der Mission Asclepios I, einem 8-tägigen Projekt, das eine Mondbasis in den Bergen nachbilden sollte. Ende 2021 hielt Eleonore Poli im Rahmen des TEDx Zürich 2019 den Vortrag “Analogue space missions: a rehearsal of mistakes for the achievement of greatness”, der sich der Bedeutung von Fehlern im Bestreben um Verbesserung widmet.
Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews mit Eleonore Poli.