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Hey Kunde, wer bist du eigentlich? Teil 1: Die Bedeutung von Personas im Entwicklungsprozess

Wer Entwicklungsprozesse an Personas ausrichtet, bereitet seinen Erfolg vor – oder seinen Fehlschlag. Teil 1 unserer Persona-Serie beleuchtet, warum Personas so impactstark sind und welche Fallen bei ihrem Design besser umgangen werden sollten.
Einige Ski lines 1

Stellt euch vor, dass ihr eure Kunden in- und auswendig kennen würdet. Dass ihr bei der Entwicklung von Innovationen exakt wüsstet, für wen ihr entwickelt, welche Features gewünscht und wie diese Features in der Realität ver- oder angewendet werden.  

Falls das für euch toll klingt, begeistert ihr euch gerade für das, was ideal konzipierte Personas leisten können. Sie sind so etwas wie der Kompass eines jeden Designprozesses. Warum ist das so? 

Keine Zeit für den ganzen Artikel? Kein Problem, hier das Wichtigste.

Eine Persona ist die genaue Beschreibung eines hypothetischen Nutzertypus, der als Stellvertreter der echten Zielgruppe fungiert. Design- und Entwicklungsprozesse können daran zielsicher ausgerichtet werden. Unzureichend designte Personas lenken diese Prozesse allerdings in falsche Richtungen. Die größte Gefahr dafür entsteht, wenn Personas nach Wünschen oder Bauchgefühl statt dem realen Nutzerverhalten und echten, bestehenden Zielgruppen gestaltet werden. 

Personas verdichten die Zielgruppe exemplarisch 

Eine Persona ist die genaue Beschreibung eines hypothetischen Nutzertypus, der als Stellvertreter der echten Zielgruppe fungiert. Sie umfasst das charakteristische Verhalten, Bedürfnisse und Ziele, die dem Nutzertypus im realen Leben wichtig sind. Diese Art, eine Zielgruppe exemplarisch zu verdichten und dadurch für Designer fassbar zu machen (Stichwort Design-Thinking-Tool), erlaubt gezieltes Entwickeln. Im Designprozess wird versucht, den Charakteristika und Bedürfnissen der Persona bestmöglich gerecht zu werden. Das führt zu Angeboten, die echte Probleme auf wünschenswerteste Art lösen.  

Populär wurde die Persona-Technik durch Alan Cooper. Er beschrieb sie als Teil seiner Designmethodik im 1999 erschienen Software-Design-Buch „The Inmates are Running the Asylum“. Den Zweck von Personas definiert Cooper als Hilfe, zu vermeiden, dass Designer für einen „elastischen“ Nutzer entwerfen (ein Designziel also, das sich nach den Launen des Designteams biegt und dehnt). Personas beugen in diesem Sinne der natürlichen Tendenz zur Selbstbezogenheit vor und helfen Designern, sich stattdessen besser mit dem tatsächlichen Nutzer zu identifizieren. 

Wer jetzt vermutet, dass Personas vor allem Kunden dechiffrieren, greift zu kurz. Längst erstellen Unternehmen Personas etwa auch für Mitarbeitergruppen, um interne Produkte, Prozesse und Arbeitswerkzeuge besser an ihre Bedürfnisse anzupassen.  

Alan Cooper, inventor of the design-driven persona
Alan Cooper, der Erfinder der design-basierten Persona. Quelle: Alan Cooper via Medium

Drei Arten von Personas 

Was zeichnet eine Persona nun im Detail aus? Gibt es gar einen Steckbrief, der – richtig erstellt und dann sinnvoll angewendet – sozusagen die Geheimformel für Erfolg enthält? Nein. Was sich aber über die Jahre herausgebildet hat, sind drei Arten, Personas darzustellen. Sie unterscheiden sich vor allem in der Art, nach dem „Wer“ oder „Was“ einer Persona zu fragen.  

  • Wer-Personas bilden ein demographisches Profil ab. Erfasst werden leicht quantifizierbare Faktoren wie Geschlecht, Alter, Beruf und Interessen. Versucht wird dann, eine Korrelation oder Kausalität zwischen diesen Merkmalen und einem Verhalten zu finden. Die Annahme, dass das überhaupt möglich ist, ist gleichzeitig der Nachteil dieser Methode. Sie suggeriert Zusammenhänge, wo keine sind (z. B. Alter und abnehmende Neigung zu Technik), und verleitet zu Stereotypisierung.  
  • Was-Personas werden auch Verhaltens-Persona genannt. Bei diesem Persona-Typ wird nicht darauf geachtet, wer etwas macht, sondern was eine Person macht und warum. Es wird also das Verhalten in Bezug zu Handlungsmotiven gesetzt. Dieses komplexere Bild eines Nutzers kommt allerdings zum Preis eines hohen qualitativen Aufwands durch schwierige Datenerhebung.     
  • Wer-und-Was-Personas schaffen Cluster, die Daten beider Verfahren zusammenführen. Das resultiert in besonders ausführlichen Persona-Beschreibungen. Überlappungen zwischen der Wer- und Was-Dimension sorgen allerdings automatisch dafür, dass Teile der Nutzerbasis, die in mehreren Clustern passen, ausgeschlossen werden.  

Wie der Faktor Mensch in der Entwicklung von Personas zum Problem wird 

Die Vor- und Nachteile der Methoden zur Persona-Findung zu kennen, ist ein guter Start. Und wer sie berücksichtigt, kann sich auf Personas von hohem Wert verlassen. Oder doch nicht? 

Leider ist meist letzteres der Fall. Das liegt ausgerechnet an dem Faktor, der durch Personas entschlüsselt werden soll: dem Menschen. Seine Eigenheiten wie Vorlieben und Neigungen, Trägheit oder Instinkt sind so etwas wie die Urfeinde der Entwicklung und Anwendung von Personas. Warum? Weil sie unterschiedlichen Problemen Vorschub leisten.  

Eine Statue, die eine Persona darstellt
Die herkömmliche Konstruktion von Personas für Innovationszwecke basiert oftmals auf arbiträr aggregierten Daten.

Problem 1: Die herbeigewünschten Personas   

Der Titel verrät es bereits: Diese Personas haben nichts mit denen zu tun, die der Realität nahekommen. Dennoch finden sie Anwendung, weil sie dem Idealbild einer Zielgruppe (bzw. dem Traumkunden des Managements) so angenehm entsprechen, dass sie „durchgedrückt“ werden. Begleitet wird das gern von der insgeheimen Hoffnung, dass der Kundenstamm dann die Gestalt der Wunsch-Personas annehmen wird.  

Ein Reverse Engineering, das zwangsläufig spätestens dann scheitert, wenn auf seiner Basis beispielsweise eine Marketingstrategie abzustimmen ist. Visiert ein Sportschuh-Hersteller etwa mit guten Wünschen social-media-aktive Jugendliche an, während die tatsächliche Käuferschaft qualitätsbewusste Eltern sind, führt die herbeigewünschte Persona zum Gegenteil von Erfolg. 

Problem 2: Die ignorierten Personas 

In Problem 1 klingt bereits an, dass sauber recherchierte und konzipierte Personas einen durchaus unliebsamen Kontrast zu Wunschvorstellungen bilden können. Also ab damit in die Schublade und ignorieren? Erstaunlich viele Unternehmen gehen so mit ungewünschten Personas um. Aber noch ein anderes Schicksal droht: Personas werden entwickelt – und dann „vergessen“. Es wird also mit der Entwicklung sozusagen die Pflicht erledigt, und die Anwendung als Kür verschoben.  

Unnötig zu sagen: Personas sind kein Luxus, sondern eine (im besten Falle evidente) Basis für Designprozesse. Sie müssen darum zum aktiven Teil der Arbeitsweise und wesentlichen Schritt bei der Bewältigung von Problemen und Projekten werden. Mit Ausnahme natürlich von schlecht konstruierten Personas. Für sie gilt in der Tat „Ab in die Schublade und vergessen“.  

Problem 3: Die Bauchgefühl-Personas  

Erfahrung kann dazu verleiten, dem eigenen Bauchgefühl höheres Gewicht einzuräumen als soliden Beweisen. Personas werden dann allerdings leicht zu Stereotypen, die lediglich auf einen Aspekt hin abgeprüft werden: ob sie mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Weil das gefährlich werden kann, wenn ganze Strategien darauf aufbauen (oder darunter zusammenbrechen können), ist es umso wichtiger, Bauchgefühl oder Vermutungen mit validen Daten in Frage zu stellen.  

Die “Make no little plans” Perspektive 

Das Ziel eines Innovationsprozesses sollte immer ambitioniert und mit grösstmöglichem Impact gewählt werden. Genau dieser Grundsatz darf und muss auch für die Entwicklung von Personas gelten. In der Umsetzung bedeutet das, die Bedeutung von Personas

  • anzuerkennen,
  • durch exzellente Konzeption zu würdigen und
  • durch konsequente Integration im gesamten Designprozess voll auszunutzen.

Drei Schritte, die logisch klingen, in der Umsetzung aber herausfordernd sind. Welche Wege dabei traditionell oft gewählt werden und wie sogenannte Spiegel-Personas zur zeitgemässen Alternative für das Digitale Zeitalter werden, beleuchtet Teil 2 unserer Serie zu Personas.  

Interesse? Hier geht es zum zweiten und dritten Teil der Serie

Hier geht es zu Teil 2 der Serie (Von der Mühsal, Personas zu erstellen). Hier geht es zu Teil 3 der Serie (Digitale Anwenderdaten in evidenzbasierte Spiegel-Personas verwandeln).