Wem gehört die Zahl 17? Wer hält die Rechte am hohen C? Und könnte man das Alphabet lizenzieren? Kaum jemand würde diese Fragen ernsthaft stellen, denn diese Dinge gelten als Gemeingut – der gemeinsame geistige Besitz aller Menschen. Dass diese Definition nicht in Stein gemeisselt ist, beweist der Aufruhr um Anish Kapoor.
Kapoor, ein indisch-britischer Bildhauer, machte sich durch grossformatige abstrakte Skulpturen einen Namen. Seither gehört er zu den angesehensten Künstlern unserer Epoche. 2016 beging Kapoor dann eine Art Tabubruch. Er sicherte sich die exklusiven Nutzungsrechte an einem Oberflächenmaterial: Vantablack.
Nur eine einzige Person erhält Zugang zur weltweit dunkelsten Farbsubstanz
Vantablack ist ein von Surrey NanoSystems entwickelter Farbüberzug, der laut Guiness Book of World Records zeitweise als dunkelste menschengemachte Substanz galt. Das Superschwarz schluckt durch eine einzigartige Pigmentierung 99,965 Prozent des auftreffenden Lichts. Mit ihr bestrichene Objekte verschlucken sich visuell praktisch selbst.
Genau diese Eigenschaften weckten die Experimentierfreude Anish Kapoors. Sie gipfelte in seinem Wunsch, Vantablack für künstlerische Zwecke weltexklusiv zu verwenden. Die dafür notwendigen Rechte daran trat ihm der Produzent Surrey NanoSystems ab. Damit erreichte Kapoor, dass andere Akteur:innen das Material niemals verwenden dürfen – zumindest nicht, um damit Kunstwerke herzustellen.
Die Innovation wird zum Politikum
Exklusive Deals existieren in vielen Lebensbereichen. Die Rechte an den "Game of Thrones" -Büchern hält beispielsweise der Streamingdienst HBO. Jedoch eine Farbe zu lizenzieren, galt für viele als Sakrileg. Es standen Vorwürfe im Raum, Kapoor sei gierig und beuge den Grundsatz der Kunstfreiheit.
Die Kunstwelt kannte zwar mit dem von Yves Klein 1960 patentierten Blau-Ton „IKB“ einen Präzedenzfall. Jedoch ist Vantablack nicht bloss eine Farbnuance, sondern stellt im Superlativ die Grenze des Machbaren dar – das reinste, vollständigste Schwarz überhaupt. Sollte nun ein Einzelner die Verfügungsgewalt über etwas erlangen, das qua Definition nahezu alternativlos bleiben würde? Die Innovation wurde zum Politikum.
Ein Mittelfinger erhöht den Einsatz
Einer, der sich sofort der „Nein“-Fraktion anschloss, war der britische Künstler Stuart Semple. Er rebellierte gegen Kapoors Rechte-Erwerb zunächst mit der Entwicklung eines pigmentierten Gegengifts, dem „pinkesten Pink“. Semple verstand dies zunächst als künstlerische Intervention.
Diese nahm aber schnell kommerziell und medienwirksam Fahrt auf, da er die Farbe auf seiner Plattform „Culture Hustle“ zu sehr günstigen Preisen an jede:n bis auf eine Person verkauft: Anish Kapoor. Beim Check-Out müssen Nutzer:innen aktiv ein Häkchen setzen: „To the best of your knowledge, information and belief this paint will not make its way into the hands of Anish Kapoor“ .
Der Geächtete konterte nach Erscheinen des „Pinkest Pink“ mit einem Instagram-Bild seines in das selbe Pigment getauchten Mittelfingers. Semple merkte dazu an, dieser Post habe „den Einsatz irgendwie erhöht. Alle fingen an […], mich um die Entwicklung eines eigenen Schwarzes zu bitten.“
Er kam der Bitte nach, lancierte zunächst „Black 2.0“, und gleich danach eine noch dunklere Version. In der Tat reichte die Farbtiefe erstaunlich nah an die von Vantablack heran. Konsequenterweise schloss Stuart Semple auch hier Anish Kapoor weiterhin vom Kauf aus.
Exklusivrechte: weiterhin ungern gesehen
Die Geschichte hätte mit einem Unentschieden enden können. Auf der einen Seite steht der weltberühmte Künstler, welcher es schafft, die Exklusivität seiner Werke bis in die Materialebene beizubehalten. Auf der anderen Seite bewegt sich der ideell getriebene Macher, der seinen Widersacher mit verkäuferischer Findigkeit karikiert.
Tatsächlich aber setzten den vorläufigen Schlusspunkt der Story ein Kunstwerk mit einem noch tieferen Schwarz. Für „Redemption of Vanity“ überzog die Künstlerin Diemut Strebe einen Diamanten mit einer Oberflächenbeschichtung, welche das MIT entwickelte.
Sie absorbiert gar 0,10 Prozent mehr Licht als Vantablack (und noch mehr als Black 3.0), sodass Strebes Diamant für Betrachter:innen wie ein magisch schwebendes, merkwürdig eckiges Loch wirkt.
Strebes Kommentar dazu: „Das Projekt kann auch als Statement gegen den Kauf exklusiver Rechte an einer Formel von Kohlenstoff-Nanoteilchen als Material für Kunstwerke durch den britischen Künstler Anish Kapoor interpretiert werden.“ Strebe, und ihr Team würden einfach „eine andere Zusammensetzung von Kohlenstoff-Nanoteilchen verwenden, die jedem Künstler zur Verfügung stehen werden."
Hier geht's zum zweiten Teil der Vantablack Story.