Man könnte den Streit um das kuriose Oberflächenmaterial Vantablack auch als leicht infantiles Kuriosum aus der Kunstwelt abtun: „Mein Spielzeug teil ich nicht!“ versus „Dann bastele ich mir mein eigenes, und Du darfst nicht mitspielen!“
Betrachtet man den Dissens zwischen Stuart Semple und Anish Kapoor jedoch genauer, zeigt sich: Hier streiten nicht nur zwei Künstler, sondern in der Tat auch zwei Innovatoren.
Organisationen müssen den Charakter ihrer Innovation verstehen
Stellt nun das exklusive Vantablack eine Ressource – gar Gemeingut – dar? Handelt Stuart Semple mit dem Zugang zu seinem ähnlichen Material „Black 2.0“ im Sinne der Interessengruppen? Dies sind Kernfragen, um die sich der Streit drehte. Die Auseinandersetzung zeigt relevante Aspekte darüber, wie Organisationen ihre eigenen Innovationen erfolgreicher vermarkten – und vor allem sinnvollen Nutzen stiften können. Dazu gehören die folgenden Punkte:
- Wirkung der Innovation falsch eingeschätzt? Shitstorm incoming!
- Organisationen, die den Zugang zu Ressourcen erschweren, verlangsamen Innovationen für alle
- Es sind oft nicht die Erfinder:innen, welche ihre Innovation weitläufig erfolgreich machen
1. Wirkung der eigenen Innovation falsch eingeschätzt? Shitstorm incoming!
In der Innovationswelt herrschen Organisationen oft ebenso streng über den Zugang zu ihren Innovationen (z.B. durch eine bestimmte Preisgestaltung oder Exklusivrechte) wie Anish Kapoor über Vantablack. Befindet jedoch eine Mehrheit (unabhängig von der rechtlichen Legitimität), dass es sich bei der Innovation um eine Art Gemeingut oder Ressource handelt, erhöht sich der Druck auf die Organisation. Die Empörung über Kapoors Kauf der Vantablack-Rechte ist kein Einzelfall. Beispielsweise erhöhte der Konzern Vyera den Preis des Medikaments Daraprim, das gegen HIV-induzierte Symptome wirkt, um das 5000-fache. Es folgte eine Lawine der Empörung sowie Rechtsstreitigkeiten, die das Unternehmen die gesamte Reputation und Millionen kostete. Abseits der Abklärung ethischer Grundsätze ist es folglich für innovative Organisationen essenziell, den Charakter ihrer Innovation rigoros aus der Perspektive ihrer Stakeholder einzuschätzen.
2. Organisationen, die den Zugang zu Ressourcen erschweren, verlangsamen Innovationen für alle
Von Rohstoffen über Räumlichkeiten bis zu Know-how und Internetzugang: diese Ressourcen sind für wirtschaftliches Handeln – und damit auch für Innovationstätigkeiten – elementar. Angenommen, ein:e Akteur:in erschwert aus Eigennutz den Zugang zu diesen Ressourcen teilweise oder komplett (in diesem Fall der Zugang zu Vantablack als Arbeitsmaterial): dann fehlt, was Arbeit ermöglicht und Innovation antreibt. Zwar hindern suboptimale Bedingungen Menschen nicht daran, geniale Lösungen zu schaffen (Stichwort frugale Innovationen). Jedoch leiden unter schlechten Bedingungen nicht nur andere, sondern die gesamte Gesellschaft in Form massiver Wohlstandseinbussen. Dies bewies der Ökonom Amartya Sen bereits in den 1980er-Jahren.
3. Es sind oft nicht die Erfinder:innen, welche ihre Innovation weitläufig erfolgreich machen
Eine populäre Definition von Innovation nach Schumpeter beschreibt, dass oft nicht die Urheber:innen einer Idee den Erfolg ihrer Innovation verantworten. Erst, wenn andere Marktteilnehmer:innen die Idee aufgreifen und weiterentwickeln, vergrössert sich das Einsatzgebiet der Innovation („Diffusionsphase“). Je mehr sie den Markt durchdringt, desto grösser ihr Erfolg. Im Falle von Vantablack verhinderte Anish Kapoor die Diffusionsphase, indem er die Exklusivrechte erwarb. Andere Akteur:innen konnten das Material weder nutzen noch weiterempfehlen. In der Theorie verliert der Vantablack-Produzent Surrey NanoSystems dadurch direkte Vermarktungspotenziale. Gleichzeitig entstand ein Angebots-Vakuum, in dem Stuart Semple sein fast gleichwertiges Produkt zu geringeren Preisen an einen riesigen Markt absetzen kann.
Erfolgreiche Innovationen schaffen Gewinn für alle
Die Geschichte um „Semple's Black 2.0 vs. Kapoor's Vantablack“ verdeutlicht im Kontext von Innovation, dass jedes Handeln nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Folgen hat.
Stuart Semple trat mit seinem demokratischen Ansatz eine regelrechte Bewegung los, denn nun hat eine grössere Allgemeinheit Zugang zu erschwinglichem, superdunklem Pigment. Gleichzeitig sind die Exklusivrechte Kapoors rechtlich legitim. Jedoch hätte der Vantablack-Hersteller, Surrey NanoSystems, einen Shitstorm vermeiden können, wenn er die Wahrnehmung und Bedürfnisse der eigenen Interessengruppe besser analysiert hätte. Daraus folgt: Organisationen droht die Unterstützung wichtiger Multiplikator:innen wegzubrechen, wenn sie ihre Innovationsstrategie nicht vollständig durchdenken und korrekt kommunizieren.
Hier geht's zum ersten Teil der Vantablack Story.